FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2004

 

Pflegefamilien mit Kindern aus schwierigsten Verhältnissen - Chancen und Bedingungen für eine gelingende Entwicklung -

von Christoph Malter (Juni 2004)

 

Seit mehr als 10 Jahren kann in der Jugendhilfe ein Trend zu vermehrter Fremdunterbringung registriert werden. Das betrifft die Vollzeitpflege, noch stärker aber die Heimpflege. Auffällig ist das durchschnittlich höhere Aufnahmealter der Kinder zu Beginn einer Maßnahme der Fremdunterbringung, sowie die kürzere Verweildauer in Pflegefamilien (vgl. Malter, Eberhard, 2003).

Mit dem höheren Aufnahmealter haben die belastenden Vorerfahrungen der Kinder in und mit ihren Familien zugenommen (vgl. Zwernemann, 2004). Wenig verwunderlich ist deshalb, dass die Heimerziehung den größeren Zuwachs im Vergleich zur Pflegefamilienerziehung verzeichnet. In ihrem Verhalten wenig angepasste oder schwierige ältere Kinder werden nach wie vor zu einem höheren Anteil in Heimpflege untergebracht, wenn die familiären Ressourcen für ein Zusammenleben nicht mehr gegeben oder Kindeswohlgefährdungen unübersehbar geworden sind (vgl. Malter, Eberhard, 2002).

Die Hilfen für Kinder und die damit verbundenen Konzepte wurden in den vergangenen Jahren vielfach ausdifferenziert. Münder (2000, S. 348) meint, dass es in Deutschland weitestgehend geeignete Hilfsangebote zur Vermeidung der Trennung des Kindes von seinen Eltern gibt. Warum dennoch mehr Kinder immer später von ihren Eltern getrennt werden, bleibt eine Frage, der in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden soll. Als wichtige Eckpunkte für an Entscheidungen von Hilfemaßnahmen Beteiligte ist jedoch festzuhalten:

  • Vollzeitpflege und die damit verbundene Trennung ist in der Praxis wie die Heimerziehung eine äußerste Maßnahme in einem breit angelegten und weit spezifizierten Hilfekatalog (vgl. Diouani, 2004, S. 178).
  • Unabhängig von Überlegungen darüber, wie man bereits traumatisierten Kindern in der Vorpubertät mit dem Angebot ‚Pflegefamilie’ eine angemessene Hilfe zukommen lassen kann, dürfen Kinderschutz und frühe Interventionen nicht aus dem Blickfeld geraten.
  • Kinder erziehungsunfähiger Eltern sollten frühzeitig mit wirksamen Maßnahmen erreicht werden, damit Sekundärprävention nicht zur Regel wird (vgl. Eberhard, Eberhard u. Malter, 2001).

Bei einer zunehmenden Zahl von Kindern gelingt letzteres leider nicht. Bei ihnen sind bereits schwerwiegende psychische und physische Schädigungen infolge von extremer Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch entstanden. Für diese Kinder muss den Fragen nachgegangen werden, was sekundärpräventive Maßnahmen leisten können, welche Indikationen die Unterbringung in einer Pflegefamilie rechtfertigen und welche Rahmenbedingungen eine gelingende Hilfe in der Pflegefamilie begünstigen.

Zunächst kann grundsätzlich gesagt werden, dass Entwicklungspsychologen und neuropsychologische Traumaforscher sich weitgehend darüber einig sind, dass Maßnahmen der Sekundärprävention in der Arbeit mit bereits traumatisierten Kindern der Vorrang vor anderen Hilfeansätzen einzuräumen ist (vgl. Diouani, 2004). Die Pflegefamilie ist eine solche Maßnahme mit heilpädagogischem Anspruch. Die Wirksamkeit der Hilfe ist mittlerweile empirisch belegt (vgl. Malter, 2001, Nowacki, Ertmer, 2002). Aus den dort gemachten Erfahrungen lassen sich Rückschlüsse für die Weiterentwicklung im Pflegekinderwesen ableiten. Zu einigen wichtigen Punkten will ich Anregungen geben.

1.) In der Arbeit mit traumatisierten Pflegekindern hat dogmatische Einengung auf eine einzelne Theorie oder einen einzelnen Hilfeansatz – ganz gleich welcher Art – sich als wenig zweckmäßig erwiesen. Vielfach entziehen sich die betroffenen Kinder der erzieherischen Einflussnahme und zeigen sich gegenüber pädagogischen und therapeutischen Hilfeansätzen widerständig (vgl. Badura et al., 1978). Das mag einerseits mit der allgemeinen Sozialisationsresistenz dieser speziellen Klientengruppe zu tun haben (vgl. Hartmann, 1996), andererseits aber auch damit, dass psychosoziale Störungen sehr komplexe Ursachen haben und nicht einfach mit exakten naturwissenschaftlichen Theorien zu erklären sind (vgl. Eberhard, 1999).

Anstatt auf wissenschaftliche Glaubwürdigkeitsansprüche zu verzichten, wurde im Therapeutischen Programm für Pflegekinder (TPP, ehemals Intensivpädagogisches Programm, IPP) empirische Begleitforschung (Malter, Eberhard, 2002) und Aktionsforschung betrieben (Eberhard, Eberhard, 1996). Während mit der empirischen Begleitforschung Auskunft über die Erfolge und Misserfolge nach außen gegeben werden konnte, verfolgt die Aktionsforschung das Ziel, die Glaubwürdigkeit nach innen zu erhöhen, bzw. einseitigen Ideologisierungen vorzubeugen und gleichzeitig die Handlungskompetenz zu erhalten, bzw. zu steigern. „Die Aktionsforschung hebt die im Wissenschaftsbetrieb übliche Trennung von Forschung und Praxis auf; die Beteiligten analysieren das gemeinsam erlebte und handelnd beeinflusste Geschehen im Rahmen kollektiver Reflexionen (sog. ‚Diskurse’), nicht mit dem Anspruch, allgemeingültige Erkenntnisse zu abstrahieren, sondern lediglich zur Steuerung der weiteren, reflexionsbedürftigen Praxis.“ (Eberhard, 1999, S. 51) Mit diesem Prinzip wird der immer wieder gestellten Forderung nach professionellem Handeln der Pflegefamilie entsprochen.

Weil man Pflegeeltern ohne praktische Hilfen und Begleitung durch erfahrene Fachkräfte einem erhöhten Risiko des Scheiterns der Pflegebeziehung aussetzt, sollte deren kontinuierliche Fort- und Weiterbildung durch Pflegeelterngruppenarbeit zur Selbstverständlichkeit werden (vgl. a. Huber, 2002).

2.) Zu den Vorerfahrungen der Kinder: Besonders störanfällig für die Entwicklung sind die frühen und bindungssensiblen Phasen. Deshalb steht vor einer Inpflegegabe die sorgfältige Exploration der Lebensgeschichte des betroffenen Kindes. Folgende Indikatoren  verdienen besondere Beachtung:

  • Schädigungen des Kindes durch Alkohol oder andere Noxen und Drogen während der Schwangerschaft (vgl. Kopera-Frye, Connor, Streissguth, 2000).
  • Hinweise dazu, wie die Grundbedürfnisse vor allem im frühen Säuglingsalter befriedigt wurden (vgl. Brazelton, Greenspan, 2002). Hierzu gehören neben der  physischen Versorgung Informationen über die wichtigste Bezugsperson bzw. die wichtigsten Bezugspersonen, Bezugspersonenwechsel, Wechsel des Aufenthaltsortes, vorangegangene Hilfen und das Bindungsverhalten des Kindes.
  • Hinweise auf Vernachlässigung und Misshandlung, Dauer der Misshandlung, Alter des Kindes zum Zeitpunkt solcher Ereignisse, Beziehung zum Täter etc. (vgl. Dornes, 1997).
  • Hinweise auf sexuellen Missbrauch (Egle, Hoffmann,  Joraschky, 2000).

Die Indikationsfrage, ob Kinder mit solchen Vorerfahrungen in Pflegefamilien vermittelt werden können und dürfen, kann folgendermaßen beantwortet werden:
Bis ungefähr zum Alter von 12 Jahren sind korrigierende Entwicklungs- und Lernprozesse im familiären Umfeld gut möglich, wenn es den Kindern gestattet wird, exklusive Bindungen zur Pflegemutter zu entwickeln. Ab diesem Alter scheinen schwer traumatisierte bindungsgestörte Kinder kaum noch Chancen auf psychosoziale Beheimatung zu finden, was neuerdings auch durch neurophysiologische Forschungen bestätigt wird. Im Alter von ca. 12 Jahren ist eine weitere Stufe in der Gehirnentwicklung abgeschlossen (vgl. Nash, 1999). Die praktischen Erfahrungen im TPP decken sich mit diesen Befunden.

3.) Zur Praxis in der Jugendhilfe: Weil nicht selten wichtige Informationen über die Kinder im Verborgenen liegen, ist der schwierige Auftrag das Erkennen und Überwinden der traumatischen Reinszenierungen. Denn wenn in ihrer Biografie stark vorbelastete und in ihrem Verhalten und Erleben gestörte Kinder zu Pflegeeltern kommen, zeigen und ‚erzählen’ sie nach einer gewissen Zeit der Anpassung oder Überanpassung in der neuen Familie (vgl. Nienstedt, Westermann, 1990) in aller Regel erst durch ihr Verhalten – und später vielleicht auch verbal – ihre bisherige ‚Lebensgeschichte’ mit den dazugehörigen ihre Persönlichkeit prägenden Ereignissen. Die von vielen Pädagogen als lästige Verhaltensstörungen etikettierten Eigenarten dieser Kinder resultieren vielfach aus ‚Fehlinterpretationen’ oder Störungen in der Wahrnehmung. Kleinste Verunsicherungen im Alltag wirken für solche Kinder nicht selten als Bedrohung und lösen Stressreaktionen aus, deren Folge wiederum eine als unangemessen erscheinende Verhaltensantwort ist. Dazu sagt die Psychoanalytikerin Anette Streeck-Fischer: „Diese Reinszenierungen finden in der Regel im Umfeld des Kindes oder Jugendlichen und in der Therapie statt.“ (2004, S. 106)

Erst wenn das Kind allmählich Sicherheit erlangt, wird es in die Lage versetzt, neue Verhaltensmuster auszuprobieren und sich positiv zu entwickeln. Diese Sicherheit gibt die Bezugs- und Bindungsperson. Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, inwiefern für das betroffene Kind eine Psychotherapie angeraten werden muss. Bedeutender ist, dass in der Pflegefamilie auf seine Bedürfnisse eingegangen wird und eingegangen werden darf. Dazu gehört u.a. die Sicherheit vor weiteren tatsächlichen Übergriffen. Aber auch die oftmals tief verborgenen Ängste müssen ernst genommen werden, denn „...fortgesetzte Triggerungen und Traumatisierungen sind nicht hilfreich. Sie halten Kinder und Jugendliche in ihrer Problematik fest und verschlimmern u.U. ihren Zustand.“ (ebd.). Es ist ein bekanntes Phänomen, dass bereits kleinste Reize aus der Außenwelt Erinnerungen an schlimme Ereignisse wach werden lassen und innerpsychische Abwehrreaktionen aktivieren. Solche durch ‚Triggerreize’ ausgelöste beängstigende Bewusstseinszustände der Retraumatisierung bieten die Chance, erkannt und allmählich  überwunden zu werden. Bleibt dieses aus, muss mit einer Chronifizierung der Verhaltensstörungen gerechnet werden (vgl. Perry, 2001).

Professionelle Psychotherapie – ausgenommen hiervon sind unterstützende Hilfen wie z.B. Beschäftigungs- und Ergotherapie etc. – macht erst Sinn, wenn die Beziehungen in der Pflegefamilie tragfähig geworden sind und die therapeutische Beziehung zwischen Kind und Psychotherapeut die Pflegebeziehung nicht gefährdet. Sie kommt deshalb meist erst nach einem angemessenen Zeitraum des Zusammenlebens von Pflegekind und Pflegeeltern in Betracht, und sollte die ebenfalls therapeutische Arbeit der Pflegefamilie unterstützen.

4.) Keine Frage beschäftigt das Pflegekinderwesen mehr, als die nach Besuchskontakten zwischen Kind und Herkunftseltern. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz hat Umgangskontakte zur ‚Soll-Norm’ deklariert. In der Vergangenheit konkurrierten die grundsätzlich widersprüchlichen Modelle ‚Ersatzfamilie’ versus ‚Ergänzungsfamilie’ (DJI, 1987; Nienstedt, Westermann, 1990) mit ihren dazugehörigen Positionen für bzw. gegen Besuchskontakte. Ob und wie Besuchskontakte zu gestalten sind, ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen. Allerdings ist zu beachten, daß es dabei nicht vorrangig um Wünsche oder Rechte gehen sollte, sondern um das Kindeswohl, dem im Konfliktfall auch aus juristischer Sicht eindeutig der Vorrang gebührt (vgl. SALGO, 2003). Sogar positiv ablaufende Umgangskontakte können sehr schädlich sein, wenn sie den Aufbau einer für die Entwicklung notwendigen Bindung zu den Pflegeeltern behindern.

Notwendig ist, dass Herkunftseltern ihrerseits die Erziehung in der Pflegefamilie wirklich akzeptieren und unterstützen, weil Besuchsregelungen sonst schädliche Verunsicherungen des Kindes auslösen. Oftmals sind einsichtige Herkunftseltern bereit, Einschränkungen zur eigenen Entlastung und zum Wohl des Kindes zu akzeptieren. Sind Herkunftseltern traumatisierter Kinder nicht einsichtig, wird es komplizierter. Experten wie Jörg Fegert (2004) sehen den Ausschluss von Besuchskontakten bei schweren Misshandlungs- und Missbrauchstraumata begründet. Er zieht damit auch eine Grenze zum begleiteten Umgang. Wegen der nicht zu unterschätzenden Gefahr der Retraumatisierung durch Besuchskontakte empfehlen auch Sunke Himpel und der Neurobiologe Gerald Hüther (2004):
„Bei Besuchskontakten mit ihren leiblichen Eltern werden die Kinder häufig mit der früheren Traumatisierung konfrontiert und sind dem Stressor erneut ausgesetzt. Hierdurch können eine ganze Reihe belastender Erinnerungen reaktiviert werden, .... Sehr kritisch sind Besuchskontakte zu sehen, wenn es danach zu einer länger andauernden Stressantwort kommt. Über mehrere Tage andauernde Auswirkungen mit rigiden Verhaltensauffälligkeiten, emotionaler Verunsicherung .... Durch Besuchskontakte können die neu entstandenen Bindungen zu den Pflegeeltern in Frage gestellt werden....“ (S. 121ff.)

Einig sind sich alle Experten darüber, dass Umgangsregelungen sich an der Wahrung der Kindesinteressen und dem Kindeswohl ausrichten müssen. Im Einzelfall ist dies immer wieder eine schwierige Aufgabe. Eine hilfreiche Liste von Regeln hat Henrike Hopp (2004) im 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens veröffentlicht.

5.) In der Arbeit mit erlebnis- und verhaltensgestörten Kindern haben sich folgende therapeutische Konzepte am besten bewährt:

  • Die psychoanalytische Ich-Psychologie (insbes. Spitz, 1967, Freud, A., 1988)
  • Die Bindungstheorie (Bowlby, 1986)
  • Die neuropsychologische Traumatheorie (Kolk et al., 2000, Perry, 2001)

Zu 1.: Traumatisierte Kinder leiden in der Regel nicht unter Konfliktneurosen, die nach FREUD aus unbewältigten Konflikten zwischen Über-Ich und ES resultieren, sondern unter Defektneurosen bzw. Charakterneurosen aus frühkindlichen Schädigungen des ICH. „Bei den Charakterneurosen hat die Auseinandersetzung mit den auslösenden Konflikten oder Traumen schon zu chronischen Funktionsaberrationen geführt.“ (Hartmann, 1977, S. 143). Das erschwert erheblich ihre Heilung und zwang die psychoanalytischen Kinder- und Jugendlichen-Therapeuten zu gänzlich neuartigen therapeutischen Herangehensweisen.

Zu 2.: In Anlehnung an die Verhaltensforschung der Ethologen wird nicht wie in der orthodoxen Psychoanalyse die Sexualität, sondern die biologisch vorgegebene Neigung des Kindes zu Bindungen und deren Störanfälligkeit durch mangelhafte Mutter-Kind-Beziehungen in den Mittelpunkt gestellt. Insbesondere dissoziale Fehlentwicklungen werden auf solche Störungen zurückgeführt und müssen deshalb durch sozialtherapeutische Beeinflussung der Mutter-Kind-Dyade oder notfalls durch Schaffung einer neuen korrigiert werden.

Zu 3.: Mit modernen bildgebenden Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass psychische Traumatisierungen physische Schäden zur Folge haben, d.h. das Gehirn wird in seiner Funktion und sogar in seiner Substanz verändert. In dieser Sicht sind seelisch behinderte Kinder hirnorganisch geschädigte Kinder, was einen radikalen Wechsel von einer überwiegend pädagogischen zu einer überwiegend therapeutischen Herangehensweise erfordert, wie sie in Heilpädagogischen Pflegekinderprojekten bereits praktiziert wird.

Relativ wenig Erklärungs- und Handlungspotenzial scheint in vernachlässigenden, misshandelnden und missbrauchenden Multiproblemfamilien die gegenwärtig vielfach favorisierte Systemtheorie zu bieten, möglicherweise weil es bei traumatisierten Kindern mehr um intrapersonelle neuropsychologische Defekte als um interpersonelle Kommunikationsstörungen geht.

6.) Als Voraussetzung für die Aufnahme eines Pflegekindes kann allgemein gesagt werden, dass Pflegeeltern liebes- und arbeitsfähige Menschen sein sollten. In der Regel sind sie sehr verantwortungsbewusst, weil sie sonst gar nicht Pflegeeltern werden. Rein materielle Motive scheiden in anbetracht der üblichen Honorarsätze aus. Weitere a-priori-Voraussetzungen schränken bei der Suche nach Pflegefamilien unnötig ein. Es gibt jedoch einige hilfreiche Gesichtspunkte:

  • Weil die zu vermittelnden Kinder einen Nachholbedarf an liebevollen Beziehungen und exklusiven Bindungen haben, sollten leibliche Kinder der Familie deutlich älter sein als das aufzunehmende Pflegekind.
  • Die Vermittlung von Geschwistern in eine Familie ist eine besondere Belastung und erhöht das Abbruchrisiko.
  • Zwischen mehreren Vermittlungen sollten angemessene Zeiträume liegen, und das zuerst vermittelte Pflegekind sollte die notwendige Sicherheit in der Pflegefamilie gefunden haben.
  • Grundsätzlich sind auch ausgebildete Fachkräfte durchaus in der Lage, Pflegekinder aufzunehmen. Häufig haben sie aber in der Anfangsphase größere Schwierigkeiten als nicht ausgebildete Pflegeeltern, weil sie durch ihre Ausbildung auf Theorien und Methoden fixiert sind (bspw. die Systemtheorie), die an ganz anderen Klienten entwickelt wurden.
  • Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur  Auseinandersetzung mit den Fachkräften in den Jugendämtern soll gegeben sein.
  • Vorbereitungskurse mit anderen Pflegeeltern helfen, eine realistische Einschätzung zu der bevorstehenden Aufgabe zu erlangen.
  • Begleitende Fort- und Weiterbildung – möglichst jugendamtsunabhängig – sollte obligatorisch sein.

7.) „Literatur zur Pflegekinderpädagogik, die angemessene Unterstützung für die täglich auftretenden Probleme gibt, existiert noch nicht.“ (Huber, 2002, S. 135) Wie bereits erwähnt befinden sich  Pflegeeltern im Umgang mit traumatisierten Kindern eher in einer therapeutischen als in einer pädagogischen Rolle. Beide Aspekte verbindet die heilpädagogische Ausrichtung, die sich an den Prinzipien ‚Liebe, Ruhe, Stetigkeit’ orientiert (vgl. Mehringer, 1992).

8.) Weil das Pflegekinderwesen ein hochkomplexes und auch störanfälliges Gebilde ist, sollten dort tätige Fachkräfte über Erfahrung in diesem Bereich verfügen, die einschlägige Fachliteratur kennen und grundlegende Kenntnisse aus den angrenzenden wissenschaftlichen Disziplinen besitzen. Eine kollegial geprägte, partnerschaftliche Haltung zu den Pflegeeltern und eine angemessene Finanzierung der Erziehungsleistung trägt zu weiteren Verbesserungen bei. Der Alltag mit einem Pflegekind ist oft anstrengend. Pflegeeltern müssen flexibel auf das Kind eingehen können und benötigen deshalb eine kontinuierlich sichere materielle Zuwendung, die es ihnen erlaubt, sich während der Erziehungszeiten dem Kind mit voller Aufmerksamkeit zu widmen. Weil Krisen sich nur selten vorher deutlich ankündigen, häufig an Wochenenden oder Feiertagen stattfinden, ist ein  24 Stunden Krisenservice von besonderer Bedeutung für einen positiven Verlauf eines Pflegeverhältnisses. Die oft gestellte Frage nach der sozialen Kontrolle der Pflegeeltern rückt in den Hintergrund, wenn diese an Gruppenarbeit teilnehmen, weil die Gruppe dann solche Aufgaben partiell mit übernimmt, wichtiger aber noch: oftmals helfen sich Pflegeeltern gegenseitig und entlasten damit die Fachkräfte.

Abschließend zu diesen Anregungen: Die praktische Umsetzbarkeit ist von vielen Einzelfaktoren abhängig, und den in den jeweiligen Kommunen vorfindbaren Rahmenbedingungen. Sie sind keine dogmatischen Rezepte, aber erprobt und nützlich, weil sie aus vielen Erfahrungen mit Pflegeeltern aus unterschiedlichen Bundesländern und aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen resultieren.

 

Literatur:

Badura, M., Battermann, C., Eberhard, K., Kohlmetz, G.: Verhaltensmodifikation im Heim mit Behavioral Contracting. In: Archiv f. Wissenschaft und Praxis, H. 3, 1978.

Bowlby, J.: Bindung (3. Aufl.). Frankfurt, 1986.

Brazelton, T.B., Greenspan, S.I.: Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Weinheim, Basel, 2002.

Deutsches Jugendinstitut DJI (Hg.): Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich. München, 1987.

Diouani, M.: Von der Norm zum Einzelfall – Notwendige Konsequenzen für die Umgangspraxis im Pflegekinderwesen. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

Dornes, M.: Die frühe Kindheit. Frankfurt/M., 1997.

Eberhard, G., Eberhard K.: Das Intensivpädagogische Programm - ein Aktionsforschungsprojekt für psychisch traumatisierte Kinder und Jugendliche in sozialpädagogisch und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien. Idstein/Wörsdorf, 2000.

Eberhard, K.: Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (2.Aufl.). Stuttgart 1999

Eberhard, K., Eberhard, G.: Aktionsforschung als Grundlage der Pflegeelternausbildung. In: Neue Praxis, H. 2, 1996.

Eberhard, K., Eberhard, I., Malter, C.: Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts. In: Sozial-Extra, H. 2, 2001.

Egle, U., Hoffmann, O., Joraschky, P. (Hg.): Sexueller Mißbrauch, Mißhandlung, Vernachlässigung (2. Aufl.). Stuttgart, 2000.

Fegert, J.:  Wann ist der begleitete Umgang, wann ist der Ausschluss des Umgangs bei Pflegekindern indiziert? In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

Freud, A.: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Frankfurt/M., 1984.

Hartmann, K. Theoretische und empirische Beiträge zur Verwahrlosungsforschung (2. Aufl.). Berlin, 1977.

Hartmann, K.: Lebenswege nach Heimerziehung. Freiburg, 1996.

Himpel, S., Hüther, G.: Auswirkungen emotionaler Verunsicherung und traumatischer Erfahrungen auf die Hirnentwicklung. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

Hopp. H.: PflegeELTERN und Besuchskontakte. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

Huber, A.: Zur Notwendigkeit der Organisierung von Pflegeeltern und der Unterstützung ihrer Arbeit. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2002.

Huber, M.: Trauma und die Folgen. Paderborn, 2003.

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Lewin, K.: Die Lösung sozialer Konflikte. Bad Nauheim, 1953.

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Malter, C., Eberhard, K.: Entwicklungschancen für vernachlässigte und mißhandelte Kinder in sozialpädagogisch und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2002.

Malter, C., Eberhard, K.:  Wechselwirkungen zwischen ambulanten Hilfen, Heimerziehung und Familienpflege. In: Textor (Hg.): SGB VIII Online Handbuch, 2003.

Mehringer, A.: Eine kleine Heilpädagogik. München, 1992.

Münder, J.: Jugendhilfe und Elternverantwortung – eine schwierige Balance. ZfJ, 2000, S. 81-85

Nash, M.: Fruchtbarer Geist. In: Mittendrin, H. 2, 1999 – gekürzte Übersetzung von Sell und Heymann: How a childs brain develops. Time Magazine, Vol. 149, No 6, 1997.

Nienstedt, M.; Westermann, A.: Pflegekinder (2. Aufl.). Münster, 1990.

Nowacki, K; Ertmer, H.: 15 Jahre Vermittlung von Pflegekindern durch den Pflegekinderdienst der Stadt Herten – Studie zur Qualitätsentwicklung. Herten, 2002.

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Salgo, L.: Gesetzliche Regelungen des Umgangs und deren kindgerechte Umsetzung in der Praxis des Pflegekinderwesens. ZfJ, 10/2003.

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Streck-Fischer, A.: Frühe Misshandlungen und ihre Folgen – Traumatische Belastungen in der Entwicklung. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

Zwernemann, P.: Praxisauswertung und Fallanalysen über Besuchskontakte bei Pflegekindern. In: Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ (Hg.): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Idstein, 2004.

In: Dokumentation des LWV-WH, 2004 (in Vorbereitung)

s.http://www.lwv-wh.de/leistungen/jugendhilfe/vollzeitpflege.html

 

 

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