FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2002

 

Verein für Kommunalwissenschaften e.V. (HG.)

Die Verantwortung der Jugendhilfe zur Sicherung des Kindeswohls

in: Aktuelle Beiträge zur Kinder- u. Jugendhilfe,
Heft 34, 2002, 14,00 Euro

Durch die auch von uns regelmäßig referierten und kommentierten Vernachlässigungs- und Mißhandlungsskandale der letzten Jahre (s. Sachgebiet Wächteramt der Jugendämter), das nachhallende Presse-Echo und die sich lang hinziehenden Strafverfahren gerieten die Jugendämter unter erheblichen Legitimationsdruck. Der Verein für Kommunikationswissenschaften reagierte darauf mit zwei Konferenzen. Die nun vorliegende Broschüre ist die Dokumentation der zweiten Fachtagung.

„Anliegen dieser Fachtagung war es deshalb, im Sinne einer Stärkung der Handlungssicherheit von Fachkräften in der Jugendhilfe zu überlegen, welche Strategien bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung das Restrisiko minimieren helfen, wie professionelles Krisenmanagement, auch im Umgang mit den Medien, im Ernstfall aussehen sollte, wie in dieser Hinsicht unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus zurückliegenden "Fällen" Schlussfolgerungen gezogen und fachliche Standards definiert werden können.
Folgende Aspekte wurden im Verlauf der Fachtagung erörtert:
- das Spannungsverhältnis von Jugendhilfe und Strafjustiz, deren unterschiedliche Erwartungshaltungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen,
- der Einfluss des Strafrechts auf die Fachlichkeit,
- der Umgang freier Träger mit der Garantenpflicht,
- Definition, Nutzen und Grenzen von Standards und Checklisten im Rahmen von Verfahren zur Reduzierung des Restrisikos, zur Risikoabwägung sowie zur Gestaltung nachvollziehbarer Dokumentationen von Entscheidungsfindungen,
- die Frage eines Organisationsverschuldens in Bezug auf die Fachlichkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
- die Etablierung effektiver und bewährter Arbeitsstrukturen bei der Entscheidungsfindung innerhalb des Teams und bei Fremdmeldung von Kindeswohlgefährdung,
- Aufgeschlossenheit und funktionierende Kommunikationswege bei der Zusammenarbeit insbesondere des ASD mit kooperierenden Diensten,
- der professionelle Umgang mit den Medien und der öffentlichen Meinung.“
(aus der
Vorausmitteilung des Vereins für Kommunalwissenschaften)

Das Inhaltsverzeichnis spiegelt das Programm, den Ablauf und die personelle Zusammensetzung übersichtlich wider und soll deshalb vollständig geboten werden:

Vorwort
KERSTIN LANDUA, Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V:, Berlin

Der Schutzauftrag der Jugendhilfe und seine schwierige Umsetzung - kurze Einführung in das Tagungsthema
MINISTERIALRAT DR. DR. H. C. REINHARD WIESNER, Leiter des Referates Kinder- und Jugendhilferecht im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn

Welchen Beitrag kann die Jugendhilfe zur Sicherung des Kindeswohls leisten?
PROF. DR. CHRISTIAN SCHRAPPER, Professor für Pädagogik und Sozialpädagogik an der Universität Koblenz-Landau

Wirklichkeit und Wahrheit. Warum sich Jugendhilfe und Justiz so oft missverstehen
THOMAS MÖRSBERGER, Landeswohlfahrtsverb. Baden, Leiter des Landesjugendamtes Karlsruhe

Anforderungen an die Jugendhilfe aus Sicht der Strafjustiz
LUTZ BODE, Richter am Amtsgericht Chemnitz

Anforderungen an die Jugendhilfe aus Sicht des Familiengerichts
GRETEL DIEHL, Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt/M, 3. Senat für Familiensachen

Zwischen Absicherungsmentalität und fachlichem Risiko - Handlungsfähigkeit der Jugendhilfe trotz strafrechtlicher Verantwortung
DR. THOMAS MEYSEN, Fachlicher Leiter des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht

Plenardiskussion

Fünf Jahre danach: Der Fall "Jenny" und die praktischen Konsequenzen für das Jugendamt Stuttgart
BRUNO PFEIFLE, Leiter des Jugendamtes Stuttgart

Ergebnisse der Diskussion in Arbeitsgruppen

Arbeitsgruppe 1: "Rückendeckung" - zur Leitungsverantwortung, Reflexionen nach einer Krisensituation
GUDRUN MÜLLER, Mitarbeiterin der Außenstelle Frankfurt-Neuberesinchen des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Amtes für Jugend und Soziales der Stadt Frankfurt/Oder

Arbeitsgruppe 1: "Rückendeckung" - das Verhältnis der Vorgesetzten zu Mitarbeitern
FRANK FAHLE, Leiter des Jugendamtes des Landkr. Havelland, Rathenow, Brandenburg

Diskussion in der Arbeitsgruppe 1: Fragen, Antworten und Kommentare zur Leitungsverantwortung und Strukturentwicklung am Beispiel des Jugendamtes Stuttgart

Arbeitsgruppe 3: Beide in der Pflicht? - zum Verhältnis öffentlicher und freier Träger
KATRIN HOFFMANN, Fachkoordinatorin f. Hilfen z. Erziehung des Jugendamtes Leipzig
SYBILL RADIG, Geschäftsführerin des Projektes Plan-L e.V. Leipzig

Arbeitsgruppe 4: Aber ein Restrisiko bleibt - Vorstellung des Stuttg. Kinderschutzbogens
PETRA DANIELA HORNER, Referentin des Jugendamtes Stuttgart
HANS-JÖRG EBERHARDT, Mitarbeiter des Jugendamtes Stuttgart

Arbeitsgruppe 5: Auf den Ernstfall vorbereitet sein - Dialogisch handeln in Missbrauchssituationen
PROF. DR. REINHART WOLFF, Erziehungswissenschaftler und Soziologe an der Alice-Salomon-Fachhochschule, Berlin
DR. CHRISTINE MAIHORN, Familienberaterin im Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V.

Zum Positiven wenden: Krisenmanagement unter den Augen der Öffentlichkeit, im Spiegel der Presse
LOTHAR STEHLE, Diplomjournalist und PR-Berater, Stuttgart

Meine Erfahrungen im Umgang mit den Medien. Kurze Statements und Diskussion
CLAUS LIPPMANN, Leiter des Jugendamtes Dresden
CORNELIA SCHEPLI1Z, Leiterin der Abt. Soz. Arb. des Amtes für Jug. u. Soziales, Frankf./Oder
BRUNO PFEIFLE, Leiter des Jugendamtes Stuttgart

Handeln im Misshandlungsrisiko.
Chancen partnerschaftlicher Jugendhilfe: Fachliche Grundstandard! und gebündeltes Erfahrungswissen aus der Tagung
PROF. DR. REINHART WOLFF, Alice-Salomon-Fachhochschule, Berlin

Abschlussdiskussion: Nach allen Regeln der Kunst - Akzente zur Rolle der Professionen und zur Zusammenarbeit

Auffällig ist, daß keine Vertreter aus dem Heim- und Pflegekinderwesen als Referenten eingeladen wurden, so daß gerade diejenigen fehlten, die am konkretesten hätten berichten können, wie die in ihren Familien traumatisierten Kinder aussehen, wenn sie zu lange darin belassen werden. Auch sonst gibt es deutliche Zeichen taktischer Immunisierung: Juristen wurden um Rechtfertigungsstrategien, Journalisten um medienpolitische Ratschläge gebeten.

Aber neben dieser defensiven gab es auch eine erfreulich offensive Strategie: die Forderung nach fachlicher Qualifizierung der Jugendamtsmitarbeiter und ihrer Interaktionen, einerseits als bester Schutz der betroffenen Kinder vor zu früher oder zu später Herausnahme, andererseits als bester Schutz der Sozialarbeiter vor strafrechtlicher Haftung. An die Spitze dieses Trends stellte sich Reinhard Wolff von der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin. Er beließ es nicht bei Appellen, sondern brachte einen Set vorbereiteter Arbeitsbögen zur „kritischen Risikoeinschätzung“ ein, die in einer der Arbeitsgruppen praktisch erprobt wurden, z.B. folgende (S. 122):

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, daß z.B. in einem Mißhandlungs- oder Mißbrauchsfall, bei dem

  • ’das Wohl des Kindes durch die Sorgeberechtigten überhaupt nicht gewährleistet ist’ (Item 1 = 5),
  • auch ’die Sorgeberechtigten und die Kinder mit den beteiligten Fachkräften in der Problemkonstruktion wenig übereinstimmen’ (Item 3 = 4),
  • ferner ’die Sorgeberechtigten und Kinder die ihnen gemachten Hilfsangebote nur z.T. annehmen’ (Item 4 = 4),
  • aber ’die Sorgeberechtigten und die Kinder selbst ein Problem sehen’ - z.B. Schulschwierigkeiten und Übergewicht des betr. Kindes (Item 2 = 2 oder 3)

wegen eines Durchschnittswertes ’kleiner, bzw. nicht größer als 4’ KEINE Fremdunterbringung erfolgen würde!

Nimmt man dann noch ein Zitat aus einem anderen Arbeitsbogen hinzu ( „der Staat ist strukturell inkompetent, die Elternrolle zu übernehmen. Daraus folgt das Prinzip des möglichst minimalen Staatseingriffs, struktureller Zurückhaltung in der Ausübung staatlicher Macht“ S. 120 ), das schon logisch unstimmig ist, weil die Intervention des Staates eben nicht zur Übernahme der Elternrolle, sondern z.B. zur Unterbringung bei anderen Eltern führt, dann scheint hier ein mindestens unterschwelliger Lobbyismus zugunsten ambulanter Maßnahmen durch, der allerdings einem derart verdienstvollen Initiator des außerstaatlichen Kinderschutzes zugebilligt werden sollte und durch einfache Verlagerung des cutting-points nach links (mithin der Toleranzschwelle nach unten) korrigiert werden könnte.

Insgesamt eine sehr spannende Dokumentation eines fachöffentlichen Lernprozesses, der hoffen läßt, daß die Vernachlässigungen und Mißhandlungen der in ihren Familien gefangenen Kinder künftig früher erkannt und unterbunden werden - entweder ambulant oder notfalls durch unverzügliche Herausnahme.

Wir werden unterdessen unsere jugendamtskritische Arbeit zugunsten der Betroffenen geduldig fortsetzen.

Kurt Eberhard (Nov. 2002)

Der Band kann zum Preis von 14,- EURO bestellt werden bei:
Verein für Kommunalwissenschaften e.V.,
Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe, Straße des 17. Juni 112,
10623 Berlin
Tel.: 030 39 00 11 36 oder 39, Fax: 030 39 00 11 46;
e-mail:
taubert@vfk.de; internet: www.vfk.de/agfj


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