FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2002

 

Andreas Marneros

Hitlers Urenkel - Rechtsradikale
Gewalttäter, Erfahrungen eines
wahldeutschen Gerichtsgutachters

Scherz-Verlag, Bern 2002 (224 Seiten, 19,90 Euro)

 

 

Professor Andreas Marneros, geboren auf Zypern, studierte Medizin in Thessaloniki. Seit 1973 ist er an deutschen Universitäten tätig, erst in den alten Bundesländern und seit 1992 in Halle.

Sein Buch lebt von der Spannung aus autobiographischen und biographischen Erfahrungen. Er versteht sich einerseits als überzeugter Wahldeutscher, der seine neue Heimat in der ganzen Welt gegen Neofaschismus-Vorwürfe verteidigt und der andererseits als Gerichtsgutachter die Lebensgeschichten zahlreicher rechtsradikaler Gewalttäter zu untersuchen hatte. Hier soll nur diese zweite Seite resümiert werden.

Seine Kasuistik umfaßt mehr als dreißig zum Teil gründlich, zum Teil nur beiläufig betrachtete Delinquenten, deren Brutalität er so vor Augen führt, daß im Leser heiliger Zorn und wilde Rache aufkommen. Dann aber beschreibt er die in der frühen Kindheit beginnenden Leidensgeschichten der Gewalttäter, und nun gehört das Mitgefühl diesen Tätern, weil sie ebenso Opfer sind wie die von ihnen Gequälten.

Wie es sich für eine redliche Kasuistik gehört, wird sie vom Autor nicht als repräsentative Stichprobe für die Induktion kriminologischer Theorien mißbraucht, sondern dient als Reihe singulärer Beobachtungen für die Formulierung abduktiver Beurteilungen, die sich erst von Fall zu Fall zu allgemeineren Hypothesen weiterentwickeln:

"Angst ist ein Hauptmerkmal, welches ich bei ausnahmslos allen rechtsradikalen Straftätern feststellen konnte. Angst vor der bevorstehenden Strafe. Angst vor dem Richter. Angst vor den Konsequenzen ihrer Taten. Nicht Reue wegen der Tat. Aber Angst vor den Konsequenzen der Tat." (S. 88)

"Ich habe noch keinen Starken unter ihnen gesehen. Keinen Gewinner. Keinen Hochintelligenten. Ich habe nur Feiglinge gesehen. Ich habe nur schwache, eingeschränkte, gepeinigte Verlierer gesehen. Ich habe nur einen Haufen Elend gesehen." (S. 101)

"Auch der Fall 'Markus' zeigt uns wieder einmal: der Rechtsradikalismus ist nur ein 'ideologisches Mäntelchen' für Kriminalität. Gewöhnliche Kriminalität." (S. 147)

"Erbarmen und Scham fand ich bei Hitlers Urenkeln nicht. Bei keinem von ihnen."
(S. 173)

"Eine echte, tief greifende Schamreaktion habe ich bei rechtsradikalen Gewalttätern noch nie gesehen. Im Gegenteil, ich erlebte häufig das offene Zurschaustellen der Tat." (S. 175)

"Doch generell ist festzustellen, daß rechtsradikale Gewalttäter insgesamt fast immer zu den Verlierern, zu den Unterprivilegierten, zu den Randständigen, zu den Schwachen, zu den wenig Intelligenten, zu den Erfolglosen gehören. .... Ich spreche nicht von den rechtsextremistischen Schreibtischtätern, von den Funktionären, von den Lenkern der rechten Szene. Auch nicht von den Profilierungsneurotikern, die eine Bühne suchen. Das ist eine andere Sorte. .... Anders als die rechtsradikalen Gewalttäter, die sich nur in der Gruppe stark wähnen. Die von Angsthasen zu Kampfhunden mutieren. Die rechtsradikalen Gewalttäter, die die Schmutzarbeit der Szene erledigen ...." (S. 185/186)

"Ich konnte auch in vielen anderen Prozessen Rechtsradikale beobachten. Ich habe sie dabei studiert, auch wenn sie nicht zu den Begutachteten gehörten. Das Muster, was sich dabei abzeichnete, ist durchgängig. Nur unterbrochen von wenigen Ausnahmen. .... Rechtsradikale Gewalttäter sind gemeine Kriminelle. Nichts unterscheidet sie von anderen Kriminellen. .... Kriminelle unterscheiden sich von der durchschnittlichen deutschen Bevölkerung durch eine ungleich höhere Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen, Alkoholismus, Aufwachsen in zerrütteten familiären Verhältnissen, niedrigem Ausbildungsniveau und damit verbundener niedrigerer sozialer Struktur. Und durch häufigeres Zusammentreffen verschiedener dieser Faktoren. Das statistische Durchschnittsbild der gemeinen Kriminellen ist das statistische Durchschnittsbild der rechtsradikalen Kriminellen." (S. 190)

"Neonazischläger, Skinheads und rechtsextremistische Gewalttäter sind fast immer in problematischen familiären Verhältnissen aufgewachsen. Sie sind die Gehänselten und die Schikanierten." (S. 192)

"Alle, ausnahmslos alle rechtsextremistischen Gewalttäter, die ich gesehen habe, zeigten als gemeinsames Merkmal die Angst." (S.195)

"Strafe auf Bewährung wird von rechtsradikalen Gewalttätern als Freispruch verstanden. Strafe auf Bewährung wird als Sieg gefeiert." (S. 195)

Als Reaktionsmöglichkeiten empfiehlt Marneros:

"Drei Waffen gegen rechtsextremistische Gewalttäter, nicht gegen den Rechtsextremismus. Die erste Waffe ist das Image. Die zweite Waffe ist die Scham. Die dritte Waffe ist die Angst. Die Kombination dieser drei Waffen kann vielen Image suchenden, schamlosen, angstvoll verneinenden und jungen rechtsextremistischen Gewalttätern den Baseballschläger, den Molotowcocktail oder das Messer aus der Hand nehmen. .... Diese Waffen nutzen nicht gegen den Rechtsextremismus im allgemeinen, nicht gegen die Schreibtischtäter, nicht gegen die Theoretiker und Drahtzieher. Nicht gegen die Finanzierer und ultrarechte Medien. Sie können aber wirksam sein gegen die Totschläger und Gewalttäter. Gegen die Neonazis auf der Straße." (S. 192)

Diese Empfehlungen werden dann für die Praxis genauer expliziert.

Enttäuschend ist das Buch für Wissenschaftler: kein Literaturverzeichnis, keine Quellenangaben, kaum Bezüge zu Untersuchungen anderer Autoren und etliche verwegene Thesen ohne argumentative Herleitung. Aber als autobiographisch-biographische Literatur, die ebenso zu Herzen wie zu Kopf geht, hat es seinen Anspruch voll erfüllt.

Kurt Eberhard (März 2002)

 

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