FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Präsentation / Jahrgang 2008

 




Bettina Bonus

Mit den Augen eines Kindes sehen lernen

Band II: Die Anstrengungsverweigerung

Books on Demand GmbH, 2008,
 352 S., 39,90 Euro

 


Dr. Bettina Bonus beschäftigt sich mit der Problematik von Pflege- und Adoptivkindern seit über zwanzig Jahren. Die ersten grundlegenden sozialpädagogischen Erfahrungen sammelte sie in der gemeinsamen Arbeit mit ihrer Mutter, Prof. Dr. Hildur v. Schweinitz, die den Lehrstuhl für Sozialpädagogik und Sozialarbeit an der Universität Osnabrück inne hatte. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin und dem medizinischen Studium arbeitete sie als Ärztin in der klinischen Pharmakologie, wo sie promovierte. Anschließend war sie an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Köln als Assistenzärztin von Prof. Dr. Gerd Lehmkuhl und Prof. Dr. Manfred Döpfner tätig. Gleichzeitig sammelte sie als Pflegemutter viele wichtige Erfahrungen in der Praxis. Dr. Bonus ist seit 1999 als selbstständige Beraterin und Begleiterin von Pflege- und Adoptivkindern tätig. Hierbei hat sie sich auf die Betreuung von besonders problematischen Pflege- und Adoptivkindern und deren Familien spezialisiert. (Angaben des Verlags)

Zunächst der Inhalt:

Vorwort
Hinweis
Bemerkung zu den Tipps dieses Buches

I. Definition der Anstrengungsverweigerung

II. Kurzer Rückblick

III. Wo verweigern wir Anstrengungen?

1. Welche Tätigkeiten erleben wir als anstrengend?
2. Was empfinden Sie als anstrengend?
3. Wie geht man im Allgemeinen mit anstrengenden Tätigkeiten um?
4. Drei Formen, eine Anstrengung zu umgehen
4.1. Vor-sich-Herschieben oder auch die „Aufschieberitis“
4.2. Hilfe organisieren
4.3. Elegante Lösungen
5. Wie gehen Sie mit Anstrengungen um?
6. Ausreden
7. Anstrengungen, die wir erst gar nicht angehen
8. Die Überwindung
9. Ein Spezialfall: mangelndes Selbstvertrauen oder Angst
10. Verweigerung von Anstrengungen in einem bürgerlichen Rahmen

IV. Wo liegt nun der Unterschied zum Anstrengungsverweigerer?

V. Welche Gebiete sind von der Anstrengungsverweigerung betroffen?

1. Schule
1.1. Schulbesuch
1.2. Beteiligung am Unterricht
1.3. Schulisches Lernen zu Hause (Hausaufgaben etc.)
2. Persönliche Hygiene
3. Pflichten
4. Freizeit
5. Körperhaltung
6. Grundbedürfnisse

VI. Das ganze Spektrum der Anstrengungsverweigerer

VII. Fallbeispiele

VIII. Jede ausgeführte Tätigkeit ist ein Wunder

IX. Ursachen

1. Allgemeines zu den Ursachen
1.1. Das Phänomen der Zentralisation
1.2. Zahnschmerzen
2. Zu den Ursachen einer Anstrengungsverweigerung im Einzelnen
2.1. Die mitgebrachten Fähigkeiten werden geschwächt
2.2. Die Lebenskraft wird geschwächt
2.3. Der Wille, in die Welt einzugreifen, wird geschwächt
2.4. Das Trauma an sich schwächt
3. Abschlussbemerkungen zu den Ursachen

X. Die Früherkennung

XI. Fortsetzung der Fallbeispiele

XII. Pädagogisch heilendes Vorgehen

1. Problematisch oder nicht?
2. Die Suche nach Gesundem und Zeit für Positives
3. Ideale und Selbsterziehung
4. Heilung durch die Anstrengungen des Erziehenden
4.1. Anstrengung durch Selbsterziehung
4.2. Anstrengungen durch ein heilendes pädagogisches Vorgehen
5. Voraussetzungen, die eine heilende Erziehung möglich machen
5.1. Ausreichend sichere Verhältnisse
5.2. Zusammenhalt
5.3. Ausreichend viel Kraft und Zeit zur Verfügung haben
5.4. Sehr viel Nähe zulassen können ohne ein großes Privatleben
5.5. Die Kombination leiblicher Kinder mit Pflege- oder Adoptivkindern
5.6. Mehrere Kinder in einer Familie
5.7. Überdenken Sie Ihr Motiv
5.8. Aufrichtige Liebe
5.9. Ein Ziel stecken
5.10. Wärme schaffen
5.11. Geduld
5.12. Kleinste Erfolge beachten
5.13. Sie werden viel Zeit brauchen
5.14. Durchsetzungsfähigkeit
5.15. Klarheit
5.16. Nicht reden, sondern handeln
5.17. Belohnung
5.18. Konsequenzen
5.19. Flexibilität

XIII. Die heilende Pädagogik zur Anstrengungsverweigerung

1. Beachtung der allgemeinen Regeln
2. Die Heilung einer Anstrengungsverweigerung ist nur durch Anstrengung möglich
3. Nicht im Niveau nach unten gehen
4. Lernen aus Erfahrung
5. Im Niveau nach oben gehen und oben bleiben
6. Die Schulwahl
7. Der Umgang mit den Schulinhalten
8. Struktur
9. Die Unterrichtspflicht und eine gezielte heilende Förderung
10. Vermeiden Sie Entmutigungen des Kindes
11. Ausreden
11.1. Negative Ausreden
11.2. Positive Ausreden
12. „Die Zaubermittel“
12.1. Die intensive Bezugsperson
12.2. Viel intensive Zeit zusammen verbringen
12.3. Nur die positiven Gefühle zeigen
12.4. Die aufrichtige Liebe zeigen
12.5. Gegenseitige positive Stimmung und ein liebevolles Miteinander
12.6. Begeisterung
12.7. Keine passiven Freizeitaktivitäten
12.8. Gute Gewohnheiten
12.9. Strategisch und planvoll vorgehen
12.10. Die Begleitung
12.11. Struktur
12.12. Der Königsweg: das Vorbild und die Nachahmung
12.13. Belohnung
12.14. Spielerisch, Sportlich, Leicht und Locker
12.15. Humor
12.16. Konsequenzen
12.17. Die paradoxe Intervention
12.18. Der Glaube an das Kind und seinen Erfolg
12.19. Geduld im Umgang mit den Überlebensstrategien
12.20. Viel Zeit und Geduld haben
13. Neuaufbau der Antriebskräfte
14. Neuaufbau des Selbstvertrauens ...
14.1. ... durch den Einzelunterricht
14.2. ... durch das Hervorheben des Positiven
14.3. ... durch die enge Beziehung und den Umgang mit dem Kind
14.4. ... durch Vertrauen in die eigene Kraft

XIV. Die Ernte aller Mühen

XV. Nachwort

XVI. Verwendete Literatur

XVII. Weiterführende Literatur


I. Definition der Anstrengungsverweigerung
Eine Anstrengungsverweigerung ist zunächst einmal - wie das Wort schon sagt - eine Verweigerung von Anstrengungen. Im Laufe der Zeit, in der ich Pflege- und Adoptivkinder begleite, habe ich dies immer wieder in einer sehr hartnäckigen Ausprägung bei jenen Kindern beobachten können. Dieses Phänomen möchte ich im vorliegenden Buch erstmals ausführlich beschreiben.

Definition der Anstrengungsverweigerung:
Es handelt sich um die hartnäckige Verweigerung der Ausführung einer oder mehrerer aus bürgerlicher Sicht erforderlicher und notwendiger Tätigkeiten durch ein körperlich völlig gesundes, frühtraumatisiertes Pflege- oder Adoptivkind
. Dieses Phänomen ist direkte Folge einer oder mehrerer Frühtraumatisierungen, so wie ich diese in meinem ersten Band der Reihe „Mit den Augen eines Kindes sehen lernen“ beschrieben habe, und setzt diese also voraus.
   Die Betroffenen sind selten in der Lage zu äußern, warum sie genau dies oder jenes verweigern. Manchmal können sie ausdrücken, dass sie die Tätigkeiten als anstrengend erleben; andere äußern, dass sie dieses oder jenes nicht brauchen, sie keine Lust oder etwas Besseres zu tun haben. Die Notwendigkeit und die Erforderlichkeit der betroffenen Tätigkeit wird häufig vehement verneint. Meist werden bürgerlich akzeptierte Ausreden benutzt, um die Tätigkeit zu verweigern.

Ich habe das Phänomen auch schon bei leiblichen Kindern beobachten können. Hier tritt es aber eher sehr selten auf und soll ausdrücklich nicht Thema dieses Buches sein. Es sei noch einmal nachdrücklich betont, dass es sowohl im vorliegenden Buch, als auch in der Definition der Anstrengungsverweigerung nur um Pflege- und Adoptivkinder geht.

Fortsetzung der Definition der Anstrengungsverweigerung:
Grundsätzlich können auch körperlich nicht gesunde, frühtraumatisierte Pflege- und Adoptivkinder eine Anstrengungsverweigerung zeigen. Dann ist aber dringend eine Abgrenzung zu Folgeerscheinungen der körperlichen Erkrankung notwendig. Die Anstrengungsverweigerung, so wie ich sie in diesem Buch beschreibe, ist nur Folge der Frühtraumatisierung und nicht die Folge einer körperlichen Erkrankung (organische Erkrankung, Verletzung, Defekt oder Funktionsstörung des Gehirns).
   Die Anstrengungsverweigerung als Folge einer oder mehrerer Frühtraumatisierungen zeichnet sich dadurch aus, dass das betroffene Pflege- oder Adoptivkind bereit ist, einen weit höheren Energieaufwand aufzubringen, um eine bestimmte Tätigkeit zu verweigern, als die eigentliche Aufgabe ihm abverlangt hätte. Grundsätzlich kann diese Verweigerungshaltung auch schon durch Kleinigkeiten ausgelöst werden und sogar bis zum Ausstieg aus dem bürgerlichen Rahmen führen (Abbruch der Schule, Berufsschule, Lehre oder des Studiums, Leben auf der Strasse, kein eigenes Einkommen durch eigenhändige Arbeit etc.). Erhält das betroffene Kind keine intensive Hilfe von außen, bleibt das Phänomen auch im Jugend- und Erwachsenenalter weiter bestehen, denn die Mehrzahl der betroffenen Kinder besitzt weder den notwendigen Antrieb, die betroffene Anstrengung von sich aus aufzunehmen, noch wächst sich das Problem mit der Zeit aus.
   Eine Anstrengungsverweigerung tritt in der Regel schon sehr früh in der Kindheit auf, kann sich aber zu jedem Zeitpunkt der Kindheit herauskristallisieren und auch durchaus erst in der Pubertät auftreten. Hier kann man aber in der Rückschau sehen, dass es bei dem betroffenen Kind bereits in der Vergangenheit Verhaltensweisen gab, aus denen sich später die Anstrengungsverweigerung entwickelte. Diese Warnsignale werden häufig fehlgedeutet und vom Umfeld nicht rechtzeitig als solche erkannt. Keine Anstrengungsverweigerung tritt plötzlich, unerwartet und ohne Vorwarnung auf.
   Jede Tätigkeit kann betroffen sein, auch ganz einfache alltägliche Arbeiten wie Zähneputzen, Haarekämmen, Zimmeraufräumen, Wäschesortieren oder Briefe zur Post bringen. Alle Formen des schulischen Lernens können ebenfalls betroffen sein. Zu beobachten ist das ganze Spektrum mit fließenden Übergängen von der Verweigerung einer kleinen Tätigkeit bis hin zu einer nahezu totalen Verweigerung. Dabei ist es durchaus üblich, dass nicht betroffene Tätigkeiten bei ein und demselben Kind in einem ganz normalen Rahmen wie selbstverständlich ausgeführt werden.
   In besonders schweren Fällen werden die Muskeln des Körpers und seine Stützfunktionen nicht mehr ausreichend betätigt, so dass zum Beispiel unter anderem der Mund offen steht, kaum geschluckt wird, dadurch der Speichel aus dem Mund läuft, die Zunge herunter- oder heraushängt, die Sprache nicht ausgeformt wird (nuschelig unverständlich bis hin zu Urlauten und/oder unvollständigen Wörtern oder Sätzen), das Gesicht weitgehend ausdruckslos wird, die Augenlider herunterfallen und auch keine aufrechte Haltung mehr gezeigt wird.
   Es können alle Bereiche des Lebens betroffen sein, aber in der Regel sind die Grundbedürfnisse des Menschen wie Nahrungsaufnahme, Ausscheidung und Schlaf von dem Phänomen der Anstrengungsverweigerung ausgespart. Lediglich die Art der Ausführung dieser Tätigkeiten kann wieder betroffen sein, zum Beispiel die Art, wie gegessen, getrunken oder auch geschlafen wird.
   Das Phänomen der Anstrengungsverweigerung kann so weit gehen, dass ein Gesamtbild einer leichten bis schweren Lernbehinderung oder ggf. auch einer leichten bis schweren geistigen Behinderung entsteht. Bei den schweren Formen der Anstrengungsverweigerung kann das Bild einer Behinderung so überzeugend abgegeben werden, dass es selbst Fachleuten nicht gelingt, darin eine Verweigerung von Anstrengungen zu erkennen.
     Charakteristisch für die Anstrengungsverweigerung ist die Hartnäckigkeit der Verweigerung, die sich nicht im Laufe der Kindheits- und Jugendentwicklung „auswächst“, sondern nur durch externe Hilfe vom Betroffenen zu überwinden ist. Dabei ist die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, extrem gering und wird meist ebenso heftig verweigert. Die Betroffenen sind außerordentlich geschickt darin, bürgerlich akzeptierte Ausreden zu finden, eine Anstrengung nicht auf sich nehmen zu müssen, und sei es durch Ablenkung der Aufmerksamkeit des Zuhörers auf andere Themengebiete, die für jeden Außenstehenden nachvollziehbar sind.

Eine Leseprobe aus Kapitel XIII:

12.10. Die Begleitung

Die enge und intensive Begleitung des anstrengungsverweigernden Kindes bei allen Tätigkeiten, die mehr oder weniger verweigert werden, ist der Hauptbestandteil Ihrer Arbeit. Diese Aufgabe wird Ihnen umso besser gelingen, je mehr Sie dem Kind Ihre Liebe durch Ihre Handlungen zeigen, je mehr intensive Zeit Sie beide in positiver Stimmung miteinander verbringen, je mehr Sie Ihre eigene Begeisterung in der Lage sind zu zeigen und je mehr die Begleitung zu einer guten Gewohnheit geworden ist.
Die Begleitung findet abgestuft je nach Verweigerungsgrad statt. Ein Gebiet, auf dem Ihr Kind nicht verweigert, muss folglich nicht begleitet werden bzw. in dem Sinne altersgemäß wie bei jedem anderen Kind auch. So würden Sie ein dreijähriges Kind ja auch nicht zu Fuß allein zur musikalischen Früherziehung schicken, sondern würden es altersgemäß dorthin begleiten, während ein gesunder Drittklässler seinen Schulweg schon allein bewältigen kann. Ein Gebiet, auf dem Ihr Kind allerdings Anstrengungen verweigert, sollte je nach Umfang und Ausmaß der Verweigerung dementsprechend mehr oder weniger eng begleitet werden.

Das Kind erledigt das Geforderte von allein
Wie wir in diesem Buch schon erfahren haben (s. S. 108 ff.), will ein gesundes Kind zu Beginn seines Lebens alles lernen und selbst machen. Diese Fähigkeit sollten Sie Ihrem Kind nicht abgewöhnen, indem Sie ihm Dinge abnehmen, die es gerne und aus eigenen Stücken allein tut oder tun möchte. Lassen Sie ihm die Freude an seinem eigenen Versuch, zum Erfolg zu kommen. Geben Sie dem Kind auch Gelegenheit, Dinge selbst machen zu dürfen, und unterlassen Sie in diesem Zusammenhang solche Sätze wie:
„Komm, lass mich das machen, ich kann das schneller und besser!“
Halten Sie sich bei einem Versuch der Kinder, Dinge selbst in die Hand zu nehmen, heraus, auch wenn der Prozess und das Ergebnis für uns Erwachsene selbst bei gesunden Kindern manchmal schwer zu ertragen sind. Da werden Strumpfhosen vollkommen verwickelt und links angezogen, bei den ersten Malversuchen nur „Krickelkrackel“ gemalt, bei den ersten Zahlen erscheinen diese spiegelverkehrt, bei den ersten Schritten auf Rollschuhen machen Sie lieber die Augen zu und der erste selbstgemachte Pudding ist voller Eierschalen!!
Egal - bei allem, was das Kind von selbst macht: Bitte nicht eingreifen!!
Diese Eigenschaft des Selbermachens aus eigenem Antrieb heraus ist zu kostbar, als dass wir sie unachtsam mit unbedachten Äußerungen, unserem Kritisieren oder lieb gemeinten Hilfestellungen zerstören. Dies sollten wir bei gesunden Kindern unterlassen und ganz besonders bei anstrengungsverweigernden Kindern, die erstmals den Mut aufbringen, überhaupt etwas allein zu machen (vgl. auch Kutik, 2000; Pickler, 1988). Hierzu benötigen Sie bei den anstrengungsverweigernden Kindern ein besonderes Feingefühl, nämlich in dem Moment, in dem eine bisher verweigerte Tätigkeit eigentlich schon von Ihrem Kind an einem anderen Ort ausgeführt wurde oder Ihr Kind auch einfach so einen Entwicklungsstand erreicht hat, der es ihm erlaubt, nun eine bestimmte Tätigkeit allein zu bewältigen. Es wäre von diesem Augenblick an fatal, wenn wir weiterhin dem Kind bestimmte Dinge hinsichtlich dieser einen Tätigkeit abnehmen würden. Jetzt würden wir dem Kind nicht mehr helfen, sondern seiner Entwicklung im Wege stehen und das Kind in eine echte Bequemlichkeit oder Faulheit führen. Deshalb seien Sie bei aller Bereitschaft zur Begleitung wachsam, an welchen Stellen das Kind Sie nicht mehr so intensiv braucht wie bisher. Es kann Bereiche geben, die Sie länger begleiten müssen, und andere Bereiche, in denen Sie Ihre Begleitung einstellen können. Begleitung kann in dem Falle, in dem das Kind gerne bestimmte Dinge macht, nur in der Weise bestehen, dass wir als stille Beobachter dabei sind, aber in gar keinem Fall eingreifen. Das gesunde Kind lernt dabei ohne Korrektur des Erwachsenen, einfach durch sein ständiges Beobachten der Umwelt, Schritt für Schritt den richtigen Umgang mit den Dingen. Ja, sogar die Kulturtechniken Rechnen, Schreiben und Lesen können vom gesunden Kind ohne Korrektur erlernt werden. Es dauert manchmal lange, aber bei gesunden Kindern kommt der Erfolg ganz sicher, darauf kann man vertrauen. Anders ist dies bei den hochproblematischen, frühtraumatisierten, anstrengungsverweigernden Kindern - bei ihnen ist nichts selbstverständlich und vieles kommt nicht von allein. Dennoch: Lassen Sie den Kindern bei den Tätigkeiten, die sie von allein, gerne und freiwillig angegangen sind, eine Chance zur Eigenkorrektur. Eine zu schnelle Korrektur könnte einen vielleicht noch vorhandenen Eigenantrieb im Keim ersticken. Aber warten Sie bei den anstrengungsverweigernden Kindern niemals zu lange. Kommt die Eigenkorrektur nicht von allein, auch keine Ansätze dazu, sollten Sie bald als Eltern oder auch Lehrer korrigierend eingreifen, weil sonst die falschen Dinge erlernt werden. Aber - geben Sie den Kindern, bezogen auf freiwillig durchgeführte Tätigkeiten, eine Chance!

Das Kind erledigt das Geforderte nur nach Aufforderung
Jetzt kommen wir zu einer typischen anstrengungsverweigernden Situation:
Ein Kind will sein Zimmer nicht aufräumen. Es macht dies nicht von allein. Dann kommt der erste Schritt der Begleitung: Sie fordern das Kind dazu auf, sein Zimmer aufzuräumen. Räumt das Kind sein Zimmer jetzt immer noch nicht auf, so kann das daran liegen, dass Ihre Aufforderung einfach nicht deutlich genug von Ihnen zum Ausdruck gebracht worden ist. Um sich unnötigen Ärger und Zeit zu ersparen, fordern Sie Ihr Kind gleich zu Beginn richtig auf: Nehmen Sie sich Zeit für die Aufforderung, machen Sie dies nicht nebenbei, während Sie noch andere Dinge erledigen. Gehen Sie auf Augenhöhe mit dem Kind. Halten Sie Körperkontakt mit dem Kind, indem Sie es hockend in den Arm nehmen oder ihm liebevoll eine Hand oder beide Hände halten. Schauen Sie das Kind an und achten sie darauf, dass das Kind auch Sie anschaut. Erst dann, wenn das Kind mit seiner vollen Aufmerksamkeit bei Ihnen ist, fordern Sie es in ein paar Worten dazu auf, jetzt sofort sein Zimmer aufzuräumen. Die Anweisungen müssen klar und verständlich sein. Um sicher zu gehen, dass das Kind Ihre Aufforderung verstanden hat, können Sie das Kind die Aufforderung noch einmal wiederholen lassen (vgl. auch Fischer-Tietze, 1997). Wichtig ist, dass das Kind unmissverständlich verstanden hat, was nun zu tun ist und es auch aus dem sonstigen Leben mit Ihnen weiß, dass es das tun soll, was Sie sagen. Dafür ist es notwendig, dass Sie auch in anderen Lebenslagen das Kind schon mal für das Befolgen von Aufforderungen belohnt oder eine Konsequenz gezogen haben, wenn es Ihre Aufforderungen einfach nicht befolgte. Bevor Sie entscheiden, einen Schritt weiterzugehen, sollten Sie sich erst darüber klar werden, ob das Nichtbefolgen einer Anweisung daran liegt, dass Sie sich grundsätzlich nicht durchsetzen können. Ist dies der Fall, sollten Sie zunächst an diesem Punkt arbeiten. In der Regel sollte das Kind Ihnen mehr oder weniger aufs Wort folgen. Die Aufforderung sollte bei einem anstrengungsverweigernden Kind in liebevoller, begeisternder, ermutigender Art und Weise, in positiver Stimmung und als gute Gewohnheit erfolgen. Sie sollten dem Kind eventuell jetzt sogar vor der Aufforderung sagen, dass Sie das Kind lieb haben, ihm Ihre Liebe zeigen und das alles in positiver Stimmung. Wenn Sie Ihren Erfolg sichern wollen, sollten Sie nicht spontan auf die Idee des Aufräumens kommen, in dem Sinne „Ach mir fällt gerade ein, Du könntest ja mal wieder aufräumen“, sondern das Kind sollte diese Aufforderung als regelmäßig wiederkehrende Tätigkeit erkennen.

Das Kind erledigt das Geforderte nur in Anwesenheit der Begleitung
Räumt das Kind nicht auf, obwohl Sie sich sicher sind, dass Sie die Aufforderung klar genug ausgesprochen haben, Sie sich in der Regel sehr gut durchsetzen können und Sie alle Zaubermittel bedacht haben, so liegt der Verdacht bei einem anstrengungsverweigernden Kind nahe, dass Sie jetzt einen Punkt der Anstrengungsverweigerung berührt haben. Warten Sie nicht zu lange und schauen Sie nicht zu lange zu, während Ihr Kind einfach nichts tut. Befolgt das Kind Ihre Aufforderung das Zimmer aufzuräumen nicht, folgt der zweite Schritt der Begleitung: Sie bleiben in der Nähe des Kindes, bis es das Zimmer aufgeräumt hat. Auch hier sollten Sie wieder die Zaubermittel nicht vergessen: Ihre Liebe für das Kind und Ihre Begeisterung für das Aufräumen zu zeigen, die positive Stimmung zu dem Kind herzustellen und es als gute Gewohnheit zu haben, dass Sie immer in der Nähe sind. Probieren Sie aus, welche Form der Nähe Ihr Kind benötigt. Reicht es, wenn Sie bei offener Tür im Nebenzimmer selbst etwas zu tun haben oder sollten Sie besser im Raum anwesend sein, oder braucht das Kind Sie direkt an seiner Seite? Denken Sie daran, dass Ihre Nähe nichts hilft, wenn Sie genervt, Finger trommelnd und auf die Uhr schauend Ihre Zeit bei dem Kind „abstehen“. Versuchen Sie eine möglichst natürliche Situation zu schaffen. Den Nachbarraum könnten Sie vielleicht selbst putzen, im Kinderzimmer gibt es vielleicht Blumen zu pflegen oder Puppenkleider auszubessern oder Spielzeugautos zu reparieren. Ihre Anwesenheit soll nicht als unangenehme Strafe wirken, sondern wärmend, hüllend und Sicherheit gebend sein. Versuchen Sie, die Atmosphäre zusätzlich durch ein plauderndes Gespräch, ein gemeinsames Lied oder eine Geschichte aufzulockern. Oder Sie nutzen einfach mal die Zeit, Ihrem Kind, während es aufräumt, intensiv zuzuhören. Auch das ist für das Kind wichtig und heilend.

Das Kind erledigt das Geforderte nur unter der ständigen wachen Aufmerksamkeit der Begleitung
Bis jetzt mussten Sie gedanklich nicht bei der Tätigkeit des Kindes bleiben, denn wir gingen bisher davon aus, dass das Kind die Tätigkeit des Aufräumens in Ihrer Anwesenheit von allein ausführt. Nun merken Sie aber, dass das Kind immer weniger aufräumt und schließlich seine Tätigkeiten ganz einstellt oder gar nicht erst mit dem Aufräumen begonnen hat, obwohl Sie im Raum waren. Jetzt folgt der dritte Schritt: Das Kind räumt nun unter Ihrer ständigen wachen Aufmerksamkeit auf. Das bedeutet, Sie achten genau darauf, was das Kind tut, fordern auf, geben genaue Anweisungen, was jetzt zu tun ist und begleiten das Aufräumen nun auch gedanklich. Dennoch sollte durch jeden Schritt der Begleitung weiterhin Ihre Liebe und Begeisterung zu dem Kind strömen und Sie sollten weiterhin auch eine gute Stimmung erzeugen. Auf keinen Fall sollten Ihre kleinen Aufforderungen und Anweisungen zwischendurch ärgerlich, schroff, genervt oder unterkühlt beim Kind ankommen, sondern versuchen Sie eine warme, weiche, sanfte, geduldige und liebevolle Stimme und Tonlage zu haben.

Das Kind erledigt das Geforderte, wenn die Begleitung immer dasselbe macht wie das Kind
Passiert weiterhin nichts, trotz Aufforderungen in Ihrer persönlichen Anwesenheit, folgt der vierte Schritt der Begleitung: Das Kind räumt mit Ihrer Hilfe auf. Das ist in Bezug auf das Zimmeraufräumen - zum Beispiel bei einem kleinen Kind - nichts Ungewöhnliches: Sie räumen zusammen mit Ihrem Kind das Zimmer auf. Jetzt handelt es sich aber vielleicht nicht mehr um ein ganz kleines Kind, sondern unter Umständen schon um einen älteren Jugendlichen oder gar einen Erwachsenen. Denken Sie immer daran: Nicht das Alter entscheidet über das Ausmaß und den Umfang der Begleitung, sondern der Schweregrad der Störung auf dem jeweiligen Gebiet. Spornen Sie Ihr Kind immer wieder durch Liebe, Begeisterung, eine positive Atmosphäre, aber auch durch Belohnungen oder Wettspiele an, so gut wie Sie oder auch mal aus eigenem Antrieb aufzuräumen. Seien Sie auch hier kreativ und erfinderisch, Hauptsache, Sie begleiten die zu erledigende Tätigkeit positiv.

Das Kind schafft es nicht, das Geforderte zu erfüllen - der Erwachsene erledigt es in der Anwesenheit und mit der vollen Aufmerksamkeit des Kindes
Bedenken wir einmal die schlimmste Situation: Alles hilft nichts! Ihr Kind weigert sich, trotz aller Zaubermittel und Tricks, mit Ihnen zusammen aufzuräumen, dann bleibt Ihnen nur noch der fünfte Schritt der Begleitung: Sie räumen in Anwesenheit und mit der vollen Aufmerksamkeit des Kindes das Zimmer Ihres Sprösslings auf. Hier sollten Sie vor allen Dingen darauf achten, dass Sie in keine dienende Haltung Ihrem Kind gegenüber hineingeraten, sondern Sie übernehmen sozusagen als Vorbild eine Tätigkeit für Ihr Kind. Dabei geht es vor allen Dingen darum, dass nicht Sie ganz allein das Zimmer aufräumen und Ihr Kind spielt solange im Garten, sondern, dass das Kind mit seiner Anwesenheit und seiner vollen Aufmerksamkeit an dem Aufräumen teilnehmen soll. Versuchen Sie dabei, Ihr Kind liebevoll mitzunehmen und mit einzubeziehen, so wie Sie ein zweijähriges Kind in ein Aufräumen mit einbeziehen würden: Sie würden dem Zweijährigen das Gefühl geben, es habe auch mitgeholfen, indem es hier und da auch einmal etwas wegräumte und Sie jede Handlung von sich selbst kommentierten, aber im Grunde genommen würden Sie aufräumen. Jetzt ist lediglich die Schwierigkeit, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um ein zweijähriges Pflege- oder Adoptivkind handelt, sondern um ein wesentlich älteres Kind. Das Einzige, was stört, ist, dass Sie nun eine dem biologischen Alter des Kindes nicht angepasste Hilfestellung leisten. Wenn Sie sich aber vorstellen, dass Ihr Kind zwei Jahre alt wäre, geht alles viel leichter und selbstverständlicher von der Hand. Die Szene sähe in etwa so aus: „So, wir räumen jetzt Dein Zimmer auf und beginnen mal mit den Bauklötzen. Die Bauklötze kommen alle in diese Kiste. Ich hebe alle Bauklötze auf und bringe sie zu dieser Kiste. Schau, da hinten liegt auch noch ein Klotz. Oh, da komme ich gar nicht dran, da muss ich mal etwas suchen, was mir hilft. Ich brauche einen Stock oder so, weil der Bauklotz so tief unter den Schrank gerutscht ist ... “ Setzen wir die Szene weiter fort, so sehen wir, dass Sie Ihr Kind bereits so gut mit einbezogen, begeistert und interessiert haben, dass es, ohne es zu merken, Ihnen einen Stock zur Hilfe holt, um den Bauklotz unter dem Schrank hervorzuholen. Sie haben Ihr anstrengungsverweigerndes Kind mit sechs einfachsten Sätzen in einer liebevollen, positiven Atmosphäre zum Aufräumen bewegt!! Nicht anders machen Sie es mit großen Kindern. Wichtig ist nicht, dass sie tatsächlich aufräumen und Ihnen eine wahre Hilfe sind, sondern das Gefühl der Kinder, das zurückbleibt: „Ich habe aufgeräumt!“ Je nachdem wie verweigernd Ihr Kind ist, können Sie es von Zeit zu Zeit auch einmal direkt auffordern, die drei Klötze, die gerade vor ihm liegen, ebenfalls in die Kiste zu legen. Die Gefahr dabei ist nur, dass Sie sich ein sattes: „Nein, tue ich nicht!“ einfahren. Eine offene Frage Ihrerseits birgt immer die Gefahr, dass das Kind Sie durch seine Ablehnung leicht in der Hand hat, indem es „Nein“ sagt. Ist die Verweigerung also zu stark, sollten Sie das Kind gar nicht mehr so direkt auffordern, sondern nur, wie in unserem Beispiel, durch lautes Vorsich-hin-Denken und Kommentieren des eigenen Tuns, das Aufräumen so interessant gestalten, dass das Kind auf einmal mithilft, ohne es zu merken. Am besten macht man dann auch kein großes Aufheben darum, dass das Kind überhaupt aufgeräumt hat, damit es auch beim nächsten Mal wieder mitmacht, ohne es zu merken. Vielleicht wird es Sie sogar fragen, ob es helfen kann. Beziehen Sie es dann weiter liebevoll mit ein. Sie dürfen es für sein fleißiges und gutes Aufräumen loben
, aber stellen Sie die Tatsache, dass das Kind jetzt überhaupt aufgeräumt hat, nicht zu sehr in den Vordergrund, weil es ihm vielleicht dann bewusst werden könnte, dass es das Aufräumen doch besser wieder verweigert.

 

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