FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2006

 



Martin Altmeyer & Helmut Thomä (Hg.)

Die vernetzte Seele

Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse

Klett-Cotta, 2006

(372 Seiten, 38 Euro)


Die Herausgeber:

Martin Altmeyer, Dr. rer. med., Dipl.-Psych., ist Paar- und Familientherapeut sowie Supervisor in Einrichtungen der psychosozialen Versorgung. Er kommt aus der Tradition der Frankfurter Schule und hat sich in den 1980er Jahren in der Psychiatriereform engagiert. Einschlägige Veröffentlichungen: Narzissmus und Objekt - ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit (2000 u. 2004); Im Spiegel des Anderen - Anwendungen einer relationalen Psychoanalyse (2003).
Helmut Thomä, Prof. Dr. med., Dr. med h.c., ist emeritierter Ordinarius für Psychotherapie der Universität Ulm. Als Verfechter einer wissenschaftlich fundierten, empirisch ausgewiesenen Psychoanalyse hat er sich weltweite Anerkennung erworben. Wichtigste Veröffentlichung: Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie (1985/1987 u. 2006), übersetzt in zehn Sprachen.

Der Klappentext des Sammelbandes umreißt das Programm des Buches:
»Niemand ist eine Insel; innere und äußere Wirklichkeit sind eng miteinander verschränkt; Subjektivität ist intersubjektiv vermittelt - so lauten die neuen Einsichten, die im weiten Feld des psychoanalytischen Pluralismus schulenübergreifend an Bedeutung gewinnen. Zunehmend widmet sich die moderne Psychoanalyse der Funktion von Bindung, Beziehung und Kommunikation für die intrapsychische Strukturbildung. Es sind die Fragen, die man früher, als man selbst noch einen privilegierten Zugang zur Seele beanspruchte, gerne den Sozialwissenschaften und der Säuglingsforschung überlassen hatte und heute mit diesen gemeinsam wissenschaftlich zu beantworten versucht. Auch hinter der Couch spürt die Psychoanalyse den Geheimnissen der 'vernetzten Seele' nach, wie sie in der Interaktion zwischen Therapeut und Patient zum Ausdruck kommen. Das vorliegende Buch vermittelt einen Überblick über diese aufregenden Veränderungen in Theorie und Praxis der Wissenschaft vom Unbewußten, die man als ihre 'intersubjektive Wende' bezeichnen kann, ohne damit einer neuen Schule das Wort zu reden.«  

Die sehr kenntnisreiche Einführung der Herausgeber bietet einen erhellenden Einblick in den Irrgarten psychoanalytischer Kontroversen:
»Freud hatte noch ganz selbstverständlich seine persönlichen Beobachtungen an Kindern und ihren Müttern zur Begründung metapsychologischer Konzepte verwendet. Diese Unbefangenheit war im Lauf der Jahrzehnte jedoch in dem Maße verloren gegangen, wie sich die Psychoanalyse institutionalisiert und die Säuglingsforschung zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin emanzipiert hatte. Persönliche Spannungen (wie etwa die zwischen Melanie Klein und John Bowlby), wechselseitige Entwertungen und eifersüchtige Abgrenzungsbemühungen taten ihr Übriges. An die Säuglingsforschung ging der Vorwurf des Empirismus, des Behaviorismus, der Oberflächlichkeit, während die Psychoanalyse das Tiefendenken pflegte. Die zunehmende Entfremdung mündete schließlich in einer Aufspaltung des ursprünglich gemeinsamen Gegenstandsbereichs - hier die subjektive Sphäre des Erlebens, der unbewussten Phantasien, der Einfühlung, dort die objektive Ebene des Verhaltens, der Interaktion, der Beobachtung. Im Zuge dieser fatalen Arbeitsteilung gerieten zunehmend jene Verrnittlungen ins Niemandsland, die eigentlich dafür zu sorgen hätten, dass unsere Empirie nicht allzu flach und unsere Theorie nicht allzu spekulativ wird: Vergessen wurde, dass wir Erleben aus Verhalten erschließen, dass wir im Unbewussten unsere Interaktionserfahrungen speichern, dass auch Einfühlung auf guter Beobachtung beruht (vgl. Altrneyer 2005c).
     Eine Entspannung zwischen den verfeindeten Disziplinen wurde erst möglich, als die Psychoanalyse nach ihrem Höhenflug in den 1970er Jahren in die Kritik und unter Spekulationsverdacht geraten war. Um empirischen Boden unter die Füße zu bekommen, wandte man sich erneut der Säuglingsforschung zu, die sichihrerseits von einem allzu anspruchslosen Positivismus verabschiedet hatte (Lichtenberg 1983, Stern 1985). ....
   Ermutigend ist, dass Intersubjektivität inzwischen zu einem forschungsleitenden Paradigma der Humanwissenschaften insgesamt geworden ist, dem man sich selbst in der neurobiologischen Grundlagenforschung (nicht jedoch im grassierenden Naturalismus der 'Lebenswissenschaften') annähert. Nachdem sie die Bahnen des cartesianischen Dualismus verlassen und die jahrhundertelang vergeblich betriebene Suche nach dem Homunculus im Kopf aufgegeben hat, arbeitet die avancierte Hirnforschung seit einiger Zeit schon an der Modellierung eines 'neuronalen Selbst', das intersubjektiv generiert wird (vgl. Edelrnan 1987, Damasio 1994, Singer 2002). Weil eine zentrale Steuereinheit im Gehirn fehlt und die zerebralen Prozesse offenbar dezentral verschaltet sind, vertritt etwa Wolf Singer die Hypothese, das Empfinden eines einheitlichen Selbst sei möglicherweise ein 'kulturelles Konstrukt', das über soziale Vermittlungen in die Metarepräsentationen des Gehirns einwandert: aus dem Du der Mutter wird das Ich des Kindes (Singer 2002, S. 73 f.). Antonio Damasio (2004) wiederum sammelt neurobiologische Befunde für seine Annahme, dass menschliche Gefühle im impliziten Gedächtnis gespeicherte Interaktionserfahrungen repräsentieren, die an angeborenen Affekten bloß 'andocken': Hinter unseren Emotionen stünden bildhaft dargestellte, Film- oder Traumszenen vergleichbare Begegnungen des Selbst mit Anderen. .....
     Im Zuge ihrer intersubjektiven Wende findet die Psychoanalyse nicht nur zu sich selbst -indem sie unter dem Paradigma der Intersubjektivität ihre innere Zersplitterung überwindet, wird sie auch im interdisziplinären Dialog wieder als Partnerin anerkannt.« (S.  13-27)

Das nachfolgende Inhaltsverzeichnis habe ich durch einige Angaben zu den Autoren und durch Auszüge aus den jeweils vorangestellten Erläuterungen der Herausgeber ergänzt:

Thomas H. Ogden (Lehranalytiker, Direktor des Centre for the Advanced Study of the Psychoses, einer der international einflussreichsten Vertreter der intersubjektiven Strömung innerhalb der so genannten postkleinianischen Schule):

Das analytische Dritte, das intersubjektive Subjekt der Analyse und das Konzept der projektiven Identifizierung

»Stand bisher der intersubjektive Charakter der psychoanalytischen Situation im Zentrum seiner Überlegungen, so geht Ogden jetzt von einer dialektischen Spannung zwischen Subjektivität und Intersubjektivität aus. Gab es im alten Konzept den Analysanden nicht ohne den Analytiker und den Analytiker nicht ohne den Analysanden ...., so spricht er nun von Koexistenz: Einerseits existiert jeder der beiden Beteiligten als eigenständiges Individuum mit seiner persönlichen Geschichte und subjektiven Innenwelt (Subjektivität), andererseits gibt es das analytische Paar in seiner Gemeinsamkeit und wechselseitigen Bezogenheit (Intersubjektivität). Im analytischen Prozess kommt es gerade darauf an, diese zwei in einer unauflösbaren Spannung miteinander verbundenen Seiten immer wieder auseinander zu halten, damit sich beide, Analytiker und Analysand, am Ende wieder als voneinander getrennte Subjekte erfahren können, die sich freilich durch ihre Beziehung zueinander verändert haben. Wie das geschehen kann und wo die Schwierigkeiten liegen - das zeigt Ogden am Beispiel einer subtilen Fallstudie.« (S. 35/36)


Jessica Benjamin (Associate Professor of Clinical Psychology an der New York University, gehört zu den wichtigsten Theoretikerinnen der Relationalen Psychoanalyse):

Tue ich oder wird mir angetan? - Ein intersubjektives Triangulierungskonzept

»Selbst die letztlich doch asymmetrische Beziehung zwischen Analytiker und Analysand betrachtet Benjamin unter der Schlüsselkategorie der wechselseitigen Anerkennung. Um die therapeutische Interaktion geht es auch in dem Beitrag, den sie für diesen Band zur Verfügung gestellt hat. Ihrer Auffassung nach ist das analytische Paar auf verschiedenen Ebenen so eng miteinander verbunden, dass es immer wieder in Beziehungskollisionen oder -kollusionen gerät, die oft in therapeutischen Sackgassen enden und gelegentlich zum Therapieabbruch führen. Eigene Schuldgefühle, Vorwurfshaltungen gegenüber dem anderen und Distanzierungen voneinander sind typische Hinweise für den Zerfall einer Beziehung, bei der beiden Beteiligten nur die Wahl zwischen Täter- und Opferrolle zu bleiben scheint. In dieser Situation bietet die dritte Position einen Ausweg, die für Benjamin freilich nicht darin besteht, als Psychoanalytiker dem Patienten gegenüber eine Beobachtungsposition einzunehmen oder sich exkludierend auf die eigene Theorie zu beziehen. Ihrem Verständnis nach muss das Dritte eine intersubjektive Qualität haben, muss etwas zwischen Analytiker und Analysand sein, das sie miteinander teilen, damit wieder ein Klima der Anerkennung entstehen kann: die Hingabe an den analytischen Prozess.« (S. 65/66)


Lewis Aron und Adrienne Harris (Aron ist Direktor des Postdoctoral Program in Psychotherapy and Psychoanalysis an der New York University, gehörte zum engeren Kreis um Stephen Mitchell, aus dem die Relationale Psychoanalyse hervorgegangen ist. Harris ist Associate Professor of Clinical Psychology an der New York University, feministische Psychoanalytikerin, gehört zum inneren Kreis der Relationalen Psychoanalyse):

In Beziehungen denken - in Beziehungen handeln. Neuere Entwicklungen der relationalen Psychoanalyse

»Lewis Aron und Adrienne Harris gehören einer Gruppe von 'dissidenten' Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen an, die sich in den 1980er Jahren im Umfeld des New Yorker William-Alanson-White-Institute gebildet hatte. .... Auf der Ebene der Metapsychologie wie auf klinischer Ebene wurden Konzepte favorisiert, die der relationalen Natur der Psyche Rechnung trugen. Der Anspruch dieser Bewegung war, die psychoanalytische Theorie und Praxis von Grund auf zu erneuern, und Stephen Mitchell war ihr führender Kopf. Allerdings war seine Vision nicht die einer eigenen 'Schule'. Was ihm vorschwebte, war vielmehr eine Integration der in zahlreiche Schulen zerfallenen Psychoanalyse unter einem einheitsstiftenden Paradigma, dem Paradigma der Relationalität oder Intersubjektivität.« (S. 108/109)


Beatrice Beebe und Frank Lachmann (Beebe ist Associate Professor of Clinical Psychology an der Columbia University in New York, vertritt den dyadischen Systemansatz in Säuglingsforschung und Psychoanalyse. Lachmann ist Lehranalytiker, Supervisor, Clinical Assistant Professor an der New York University):

Die relationale Wende in der Psychoanalyse - Ein dyadischer Systemansatz aus Sicht der Säuglingsforschung

»Beebe und Lachmann verstehen ihren Ansatz zu Recht als Eigenbeitrag zur relationalen Wende der Psychoanalyse. Ihre Überlegungen dazu gliedern sie in einen historischen Teil, der Auskunft über die persönliche und intellektuelle Vorgeschichte einer systemischen Betrachtung menschlicher Dyaden gibt, und in einen zweiten Teil, der am Beispiel eines Behandlungsfalls die Weiterentwicklung bzw. Korrektur der eigenen, ursprünglich an der Selbstpsychologie und Ihren Konzepten orientierten Betrachtungsweise zu einer dyadisch-systemischen Sicht dokumentiert.« (S. 123)


Donna M. Orange, Roben D. Stolorow und George E. Atwood (Orange ist Psychoanalytikerin und Philosophin. Sie lehrt am New Yorker Institute for the Psychoanalytic Study ot Subjectivity und am Istituto di Specializzizione in Psicologia psicoanalitica del se e psicoanalisi relazionale in Rom. Mit Stolorow und Atwood hat sie den intersubjektiven Systemansatz entwickelt. Stolorow ist Clinical Professor of Psychiatry an der School of Medicine der University of California, Pionier des intersubjektiven Ansatzes in der Selbstpsychologie. Atwood ist Professor of Psychology an der Rutgers University und am Institute for the Psychoanalytic Study of Subjectivity, kommt aus der intersubjektiven Strömung der Selbstpsychologie):

Zugehörigkeit, Verbundenheit, Betroffenheit - ein intersubjektiver Zugang zur traumatischen Erfahrung

»In ihrem Beitrag zeigen die Autoren, was sie die 'klinische Sensibilität' ihres intersubjektiven Systemansatzes nennen, und wie weit sie dabei zu gehen bereit sind. Anhand eines Fallbeispiels und eigener therapeutischer Erfahrungen werden die Möglichkeiten und Grenzen der Selbstenthüllung des Analytikers demonstriert. Insbesondere der Zugang zur traumatischen Erfahrung eines Patienten sei, so die Autoren, nur dann möglich, wenn der Therapeut reflexiven Zugang zu seinen eigenen lebensgeschichtlichen Traumata hat; erst diese Gemeinsamkeit schaffe jene Zugehörigkeit, Verbundenheit und Betroffenheit, die einem empathischen Begriff von Intersubjektivität innewohnen.« (S. 161)


Marcia Cavell (Psychoanalytikerin und Philosophin, Professor of the Humanities an der University of California, Visiting Professor of Philosophy an der New School for Social Research, kommt aus der sprachphilosophischen Schule des amerikanischen Pragmatismus und verbindet die philosophische mit der psychoanalytischen Tradition des Intersubjektivismus):

Subjektivität, Intersubjektivität und die Frage der Realität in der Psychoanalyse

»Ausgehend von der etymologischen Verwandtschaft von mind und meaning, beschäftigt Cavell sich vor allem mit dem Zusammenhang zwischen dem Subjekt und der intersubjektiven Struktur der Sprachspiele, an denen es teilhat und deren Bedeutung es verstehen muss. Durch diese Folie betrachtet sie sowohl den psychoanalytischen Veränderungsprozess als auch den Entwicklungsprozess des Säuglings: Wenn Analytiker und Analysand bzw. Mutter und Kind miteinander kommunizieren, verständigen sie sich zugleich immer über die gemeinsame Welt, in der sie leben. Eine solche sprachphilosophische Version von Triangulierung entwickelt Marcia Cavell auch im folgenden Beitrag.« (S. 179)


Werner Bohleber (Lehranalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung, Herausgeber der Psyche, keiner psychoanalytischen Schule zuzurechnen, vertritt eine vermittelnde Position):

Intersubjektivismus ohne Subjekt? - Der Andere in der psychoanalytischen Tradition

»Aus einer eher skeptisch-kritischen Position befasst sich Bohleber eingehend mit einigen theoretischen und klinischen Positionen des modernen Intersubjektivismus und warnt davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Im Zuge ihrer intersubjektiven Wende dürfe der Psychoanalyse das Subjekt nicht verschwinden. Hier kommt ein Bemühen des Autors zum Ausdruck, im weiten Feld des psychoanalytischen Pluralismus nach Konvergenzen, Verbindungslinien und Gesprächsmöglichkeiten zu suchen, statt die Gräben zu vertiefen, die zwischen den Schulen bestehen.« (S. 204)


André Green (Psychiater und Psychoanalytiker, Lehranalytiker der Société Psychanalytique de Paris. Er hält an der Freudschen Triebtheorie in ihrer französischen Variante fest und gilt als scharfzüngiger Kritiker der Säuglingsforschung):

Das Intrapsychische und das Intersubjektive in der Psychoanalyse

»Das eigentliche Ziel der Kur bestehe, wie Green in Anlehnung an Donald Winnicott formuliert, im Alleinseinkönnen in Gegenwart eines Anderen. Es ist diese unbedingte Verteidigung der Exklusivität der psychoanalytischen Situation, mit der er seine vehemente Ablehnung objektiver Beobachtungsverfahren, die der Subjektivität der Teilnehmer niemals gerecht werden können, immer wieder begründet. Aus dieser Haltung heraus wehrt er sich auch gegen den wissenschaftlichen Anspruch, der vor allem von der Säuglings- und Bindungsforschung an die Psychoanalyse gerichtet wird. Erstens betrieben diese Disziplinen mit ihren Beobachtungsmethoden gar keine Wissenschaft (und sollten nicht so tun, als ob sie das täten), sondern Science-fiction, weil die innere Welt des Säuglings zwar mit der der Mutter verbunden, aber nicht beobachtbar sei und deshalb 'erfunden' werden müsse (diesen 'Konstruktivismus' der Säuglingsforschung hat Daniel Stern freilich nie bestritten). Und zweitens sei der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse, das Unbewusste, einer Beobachtung von außen per se nicht zugänglich. Um so erstaunlicher, dass Green im folgenden Beitrag die Abgrenzung von Psychoanalyse und Säuglingsforschung nicht mehr ganz so scharf zieht, wie man das von ihm gewohnt ist.« (S. 227/228)


Jean Laplanche (Psychoanalytiker mit philosophischem Hintergrund (Merleau-Ponty, Levinas). Er vertritt eine intersubjektive Variante der Triebtheorie):

Die rätselhaften Botschaften des Anderen - Zur Metapsychologie von Sexualität und Bindung

»In der Tradition der französischen Psychoanalyse hält Laplanche an der verdrängten Sexualität als der Quelle des Unbewussten fest. Gleichzeitig aber erkennt er in den unbewussten Phantasien die Spuren der tatsächlichen frühkindlichen Erfahrung mit dem wirklichen Anderen und sucht - gegen den etwa von Andre Green gepflegten wissenschaftsfeindlichen Habitus - Anschluss an die empirische Forschung der Entwicklungspsychologie. Daraus ergeben sich letzten Endes Verständigungsmöglichkeiten, Kompromisslinien und Annäherungsversuche zwischen den Lagern.« (S. 259/260)


Michael B. Buchholz (Lehranalytiker, Professor am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Göttingen und für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund-Freud-Privat-Universität, Wien. Er vertritt einen qualitativ-interaktionistischen Ansatz in der Psychotherapieforschung):

Konversation, Erzählung, Metapher - Der Beitrag qualitativer Forschung zu einer relationalen Psychoanalyse

»In der Kunst der Vernetzung von Wissen hat es Buchholz zu wahrer Meisterschaft gebracht, wobei es einem schier schwindlig werden kann, wenn man all die Wege mitmacht, die er mit seinem stets wachen Geist und seiner stupenden Belesenheit verfolgt. Früher als viele andere hat er das Neue und Zukunftsweisende am relationalen Ansatz der Psychoanalyse entdeckt. In dem für diesen Band geschriebenen Beitrag widmet er sich dem psychoanalytischen Dialog, der einerseits ein Gespräch ist wie jedes andere auch, aber zugleich mehr ist als das. Was das Besondere an jener Gesprächsform darstellt, die eine Kommunikation zwischen zwei Menschen zu einer Psychoanalyse macht, und welche Rolle dabei Relationalität, also das Handeln, Denken und Fühlen 'in-Beziehungen', spielt, dieser Frage geht Buchholz mit Hilfe von Methoden der qualitativen empirischen Forschung nach.« (S. 282/283)


Axel Honneth (Sozialphilosoph, Schüler von Jürgen Habermas, bedeutendster zeitgenössischer Vertreter der Frankfurter Schule, Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er plädiert für eine anerkennungstheoretisch reformulierte Version der Psychoanalyse):

Facetten des vorsozialen Selbst - Eine Erwiderung auf Joel Whitebook

»Während Habermas im Zuge des eigenen Theorieentwurfs sein ursprüngliches Interesse an der Psychoanalyse aufgab, nahm Axel Honneth, sein Nachfolger in der Leitung des Frankfurter Instituts, diese Tradition wieder auf: Für seine anerkennungstheoretische Reformulierung einer kritischen Gesellschaftstheorie reklamierte er nicht nur Hegel als Philosophen der Intersubjektivität, sondern auch die intersubjektiven Ansätze einer Psychoanalyse, die sich theoretisch auf Autoren wie Hans Loewald und Donald Winnicott und empirisch auf die Befunde der Säuglingsforschung (Daniel Stern) stützten.« (S. 314/315)


Joel Whitebook (Psychoanalytiker und Philosoph am Columbia Center for Psychoanalytic Training and Research, befaßt sich intensiv mit philosophischen Begründungen der Psychoanalyse. Er vertritt eine eher kritische Position gegenüber der 'intersubjektiven Wende'):

Die Arbeit des Negativen und die Grenzen des 'intersubjective turn' - Eine Erwiderung auf Axel Honneth

»In seiner ursprünglichen Kritik an der intersubjektiven Wende im Allgemeinen und an der Honnethschen Anerkennungstheorie im Besonderen hatte Whitebook einen langen philosophiegeschichtlichen 'Anlauf' genommen, um gegen den soziologisierenden Intersubjektivismus anthropologisch die ursprüngliche Feindseligkeit (mit Hobbes gegen Locke), das vorreflexive Selbst (mit Henrich gegen Habermas) und den primären Narzissmus (mit Freud gegen Balint) in Stellung zu bringen. Zusammengenommen bewirkten diese drei in der menschlichen Natur begründeten Tendenzen das, was er in Anlehnung an André Green 'die Arbeit des Negativen' nennt: eine im innersten Kern des Subjekts beheimatete, per se asoziale bzw. antisoziale Neigung des Unbewussten, die Beziehung zum Anderen zu zerstören, Bindungen zu verhindern oder aufzulösen und sich widerständig gegen alles Intersubjektive zu verhalten.« (S. 334)


Bilanzierende Bewertung:
Wer die Wende der modernen Psychoanalyse zur Intersubjektivität bei gleichzeitiger Betonung ihrer traditionellen Innenperspektive sowie ihre interdisziplinäre Öffnung zu den Nachbarwissenschaften erleben und verstehen will, muß dieses verdienstvolle und von den Herausgebern vorbildlich bearbeitete Buch gelesen haben.

Kurt Eberhard  (August 2006)  

 

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