FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2008

 

HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT:
 
Pflegeeltern haben ein Beschwerderecht
bei Umgangsentscheidungen und müssen
hinreichend angehört werden,
wenn sie unmittelbar betroffen sind 

Beschluss (2UF 132/7) vom 4.1.2008

 

Vorbemerkung: Vormünder und Jugendämter sind nicht Leiter (analog einer Heimleitung) von Pflegefamilien, sondern betreuende Unterstützer ohne Führungsanspruch. Pflegeeltern sind auch keine Vollzugsorgane der Jugendämter, sondern autonome Orte der Erziehung und Therapie. Nach Auffassung des OLG Hamburg ist es nicht Sache des Jugendamtes bzw. des Vormundes, den Pflegeeltern die Modalitäten des Umgangs vorzuschreiben, sondern das Recht des Familiengerichtes. Der vorliegende Beschluss ist eine willkommene Argumentationshilfe für alle Pflegefamilien, die bei Umgangsfragen in ein ähnliches Dilemma geraten sind und nicht hinreichend gehört wurden.
Christoph Malter, Feb. 2008

 

Auf die Beschwerde der Pflegeeltern L. wird der Beschluss des Amtsgerichtes Hamburg-Wandsbek, Familiengericht vom 6.11.2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Beschwerdeverfahrens unter den Beteiligten findet nicht statt.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

I.
Der zuvor allein sorgeberechtigten Mutter wurde mit Beschlüssen des Amtsgerichts Lüneburg, Familiengericht vom 7.2. und 23.4.2007 die elterliche Sorge für die beiden betroffenen Kinder entzogen und dem beteiligten Jugendamt als Vormund übertragen.
Beide Kinder leben seit Mitte Januar 2007 bei ihren Pflegeeltern.
Mit Schreiben vom 25.9.2007 regte der Vormund gegenüber dem Amtsgericht Lüneburg, Familiengericht an, das Umgangsrecht der Mutter mit den beiden Kindern gerichtlich zu regeln, vorab im Wege einer einstweiligen Anordnung. Die Pflegeeltern würden gegen den Willen des Vormundes diese Besuchskontakte unterbinden.

Nachdem das Amtsgericht Lüneburg mit Beschluss vom 17.10.2007 das Verfahren an das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek abgegeben hatte, übersandte das Familiengericht den Pflegeeltern das Schreiben des Vormundes vom 25.9.2007 zur Stellungnahme binnen 3 Tagen.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 5.11.2007, bei Gericht per Fax eingegangen am selben Tag nahmen die Pflegeeltern Stellung und regten die Anhörung der Verfahrensbeteiligten an.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 6.11.2007 verpflichtete das Familiengericht die Pflegeeltern, die Weisungen des Vormundes bezüglich des Umgangs der beiden Kinder mit der Mutter zu befolgen und drohte für jede Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Anordnung ein Zwangsgeld bis zu 25.000 Euro an.

Gegen diesen ihnen am 12.11.2007 zugestellten Beschluss wenden sich die Pflegeeltern mit ihrer am 22.11.2007 beim Amtsgericht eingegangenen begründeten Beschwerde, die am 22.11.2007 beim Oberlandesgericht eingegangen ist.

II.
Die Beschwerde der Pflegeeltern ist gemäß den §§ 621e, 621 Abs. 1 Nr. 2, 517, 520 Abs. 1 und 2 ZPO zulässig.

Das Beschwerderecht der Pflegeeltern gegen den angefochtenen Umgangsrechtsbeschluss folgt aus den §§ 62la Abs. 1 Satz 1 ZPO, 20 Abs. 1 FGG. Durch den angefochtenen Beschluss des Familiengerichts ist den Pflegeeltern unmittelbar eine eigene Verpflichtung auferlegt worden, zudem ist ihnen gemäß § 33 FGG bei jeder Zuwiderhandlung gegen die gerichtliche Anordnung ein Zwangsgeld bis zu 25.000 Euro angedroht worden. Der Beschluss greift somit unmittelbar in Rechte der Pflegeeltern ein und verleiht ihnen daher ein Recht zur Anfechtung (vgl. BGH FamRZ 2005, 975 ff, 977 ).

Die Beschwerde ist auch begründet.
Der angefochtene Beschluss des Familiengerichts ist bereits deswegen aufzuheben, weil er entgegen der Vorschrift des § 1684 Abs. 3 BGB den Inhalt und die Ausgestaltung des Umgangsrechts der Mutter mit ihren beiden Kindern nicht selber regelt, sondern dieses dem Jugendamt als Vormund überlässt. Hieraus folgt des weiteren, dass der angefochtene Beschluss auch keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, somit ohnehin ins Leere geht.

Gemäß § 1684 Abs. 3 BGB hat das Familiengericht bei Bedarf den Umfang des Umgangsrechts eines Elternteils mit seinem Kind sowie dessen Ausübung auch gegenüber Dritten - wie vorliegend gegenüber den Pflegeeltern - näher zu regeln. Das heißt, es hat zumindest über die Häufigkeit des Umgangskontaktes, den jeweiligen genauen Zeitpunkt, die jeweilige Dauer und die Modalitäten wie zum Beispiel das Bringen und Holen des Kindes sowie gegebenenfalls die Anwesenheit dritter Personen selber festzulegen. Bereits daran fehlt es vorliegend.

Darüber hinaus hat das Familiengericht wesentliche Verfahrenvorschriften verletzt.
Gemäß § 50b Abs. 1 FGG hat das Gericht in einem Verfahren, das die Personensorge betrifft, das betroffene Kind persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhaltes angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft. Diese Anhörungspflicht besteht auch in Umgangsrechtsverfahren nach § 1684 BGB (vgl. Keidel/Engelhardt 15. Aufl. Rdnr. 5 zu § 50b FGG). Von dieser Pflicht zur Anhörung darf das Gericht gemäß § 50b Abs. 3 FGG nur aus schwerwiegenden Gründen absehen. Derartige schwerwiegende Gründe hat das Familiengericht nicht angegeben, sie sind auch nicht ersichtlich. Dennoch wurden die Kinder nicht angehört.

Des weiteren hat das Gericht gemäß § 50c FGG dann, wenn ein Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt, in allen die Person des Kindes betreffenden Angelegenheiten auch die Pflegeperson anzuhören. Dieser Verpflichtung ist das Familiengericht im Rahmen des entschiedenen Hauptsacheverfahrens zur Regelung des Umgangsrechts beider Kinder mit ihrer Mutter nicht hinreichend nachgekommen, indem es den Pflegeeltern mit Verfügung vom 31.10.2007 eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme von lediglich drei Tagen gesetzt hat.

Zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern entstehen, wenn das Pflegeverhältnis wie vorliegend bereits längere Zeit andauert, Bindungen, die denjenigen zwischen Eltern und Kindern vergleichbar sind, wobei diese gewachsenen Bindungen nach Art. 6 Abs. 1 und 3 GG geschützt sind (vgl. BGH a.a.O. 976).

Den Pflegeeltern muss daher, wenn sie selber durch eine gerichtliche Entscheidung verpflichtet werden sollen, den Umgangskontakt zwischen den Kindern und deren Mutter herzustellen, jedenfalls im Hauptsacheverfahren hinreichende Möglichkeit gegeben werden, aus ihrer Sicht dazu Stellung zu nehmen, inwieweit ein derartiger Umgangskontakt mit dem Wohl der Kinder vereinbar ist.

Der angefochtene Beschluss des Familiengerichts war nach alledem aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren wird das Familiengericht zu prüfen haben, ob es zu einer gemäß § 12 FGG gebotenen Sachverhaltsaufklärung nicht geboten erscheint, neben den Kindern auch die Pflegeeltern sowie die Mutter persönlich anzuhören.

Der Senat weist vorsorglich auf folgendes hin:
Auch die Pflegeeltern haben gemäß § 1684 Abs. 2 BGB alles zu unterlassen, was das Verhältnis der Kinder zu deren Mutter beeinträchtigt.

Die Pflegeeltern irren zudem, wenn sie der Meinung sind, das Jugendamt als Vormund habe ihnen gegenüber nicht hinsichtlich des Umgangs beider Kinder mit ihrer Mutter grundsätzlich zu entscheiden. Denn den zwar im Bereich der Alltagssorge gemäß § 1688 Abs. 1 BGB aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pflegeeltern steht eine derartige Befugnis hinsichtlich der Bestimmung des Umgangsrechts der von ihnen betreuten Kindern mit den Eltern nicht zu, da es sich insoweit um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung handelt, die nicht zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens gehört (vgl. Staudinger/Salgo (2006) Rdnr. 23 zu § 1688 BGB).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG; eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist wegen § 131 Abs. 1 Satz 2 KostO nicht veranlasst.

Die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus den § 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 und 2 KostO.

 

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