FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2004

 

Informationsabend zu Sparmaßnahmen in Berlin mit Finanzsenator Thilo Sarrazin

 

Liebe Pflegeeltern,

Vielen Dank, dass Ihr am 26. Januar unserem Aufruf, in das Spandauer Rathaus zu kommen, so zahlreich gefolgt seid. Für die Eltern, die verhindert waren und für alle Interessierten will ich eine Eindrucksschilderung dieses Abends geben, denn beeindruckend war es.

Was da abgegangen ist, ist zum großen Teil das Ergebnis unser aller Anstrengungen in den letzten Wochen:

Von den Gründungsmitgliedern unseres neuen Pflegeelternvereins waren wir vier anwesend. Dazu noch viele andere Pflegeeltern.

Nachdem die Studenten lautstark und bunt (kann man ihnen nachfühlen) in der ersten Hälfte der Veranstaltung ihre Forderungen kundgetan haben, schritten wir gleich am Anfang der zweiten Runde zur Tat. (Was ich hier so toll fand war, dass wir uns nicht abgesprochen hatten, total verteilt saßen und sicher kaum einer von uns am Anfang der Veranstaltung wusste, dass er sprechen würde.)

Wir schafften es, dass vier Pflegemütter nacheinander nach vorn gingen und sich einfach in der Reihe vor dem Mikro anstellten, damit sie auch wirklich rankommen. Dann redeten wir alle vier hintereinander jeder im Schnitt vier Minuten. Fakten, Fakten, Fakten - und ganz viel Herz !!!

Das hat seine Wirkung nicht verfehlt!! Ein Beitrag war so gut wie der Andere: Kompakt, konkret, informativ, sachlich, fordernd, und ab und an versagte der Einen oder Anderen von uns fast die Stimme. Das passiert - sogar so einem "Ruppi" wie mir, weil nur wir Pflegeeltern wirklich wissen, was hinter dem Gesagten steckt. Ich denke, das hat unserer Glaubwürdigkeit keineswegs Abbruch getan.

Mit jedem Beitrag wurde es ruhiger im Raum, nach jedem Beitrag wurde der Applaus lauter und anhaltender. Ich hatte das Glück zuletzt zu reden und habe den Beifall für alle vor mir noch mal mitgeerntet. Im späteren Verlauf kamen nochmals 3 - 4 Pflegemütter-und-väter zu Wort. Fast jede/r, der anderen Diskussionsredner die/der sich aus dem Publikum nach uns zu Wort meldete, bezog sich neben seinen eigenen Problemen nochmals auf uns und forderte konkrete Antworten zu unseren Themen. Die Studenten gingen sogar soweit zu sagen, sie würden ihre eigenen Forderungen gerne zurückstellen, wenn sie die Gewissheit hätten, dass wir dafür mit unseren Argumenten ernst genommen werden, weil die Kinder noch vor den Studierenden kämen.

Ich meine, das muss man sich mal überlegen, was da in diesen jungen Menschen abgegangen ist. Junge Menschen sind eigentlich sehr egoistisch................

Was wir auf alle Fälle erreicht haben ist Aufmerksamkeit und Aufklärung in dem öffentlichen Kreis, der anwesend war.

Herr Sarrazin war "sehr bewegt" und er "bewundert unsere Arbeit" und er "weiß nicht, ob er das durchhalten würde".

In der Folge setzte er mehrmals zu vorsichtigen Äußerungen an, sinngemäß, dass man schauen müsse, bei all den Sparmaßnahmen, wie das verteilt wird. Aber bitte keine voreilige Hoffnung, er hat es mit anderen Äußerungen immer gleich wieder zurückgenommen, wie etwa, dass man sehen müsse, wie das in anderen Ländern ist und sich an diese angleichen müsse. Übrigens ist mir hierbei eingefallen, dass bisher immer alle nach Berlin geschaut haben und Berlin beispielgebend für die Länder war. Nun hat Berlin diese Position nicht mehr.............. Bis bald vielleicht?????????

Mit optimistischen Grüßen

Andrea Trautmann
„Pflegeeltern für Pflegekinder“ i. G.
2. Vorsitzende

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Diskussionsbeiträge einer Pflegemutter

Guten Abend Herr Dr. Sarrazin,

ich freue mich, dass Sie so angeregt mit den Studenten verhandelt haben, ich möchte das auch.

Wir sind eine heilpädagogische Pflegestelle, die Kinder bei sich zu Hause betreuen, pflegen, lieben und fördern. Wir kämpfen um sie.

Wir haben Kinder mit Mehrfachbehinderungen und schwerst traumatisierte Kinder, die missbraucht und misshandelt wurden, denen wir ein Heim und eine Ersatzfamilie bieten. Nun zu dem Problem:

Bisher erhielt ich monatlich für ein Kind für eine Rundumbetreuung von 24 h 1336,10 Euro. Dieser Betrag besteht aus Pflegegeld, welches für das Kind verwendet wird und meinem Erziehungsgeld von 958,00 Euro für meine Pflegeleistung. Plötzlich wird aus Spargründen eine neue AV geschaffen, welche besagt, dass ich nunmehr nur noch 300,00 Euro für meine Arbeit bekomme. Ein Heimplatz für mein jüngstes Pflegekind kostet der Stadt Berlin 6995,00 Euro.

Ich erspare durch meine Arbeit an meinem kleinsten Kind dem Berliner Senat 67.913,00 Euro in einem Jahr !!!!!!!

Ich bin schon die günstige Alternative zum Heimplatz, aber ich werde nicht für 300,00 Euro im Monat meine Seele, meine Knochen und meine Kraft verkaufen.

Ich werde meine Kinder abgeben müssen, um wieder arbeiten zu gehen. Aber nicht ich trage dann die Schuld an Beziehungsabbrüchen, sondern Sie, da Ihnen immer noch nicht klar ist, was unsere Arbeit bedeutet und was es bedeutet, was Sie da vorhaben.

Für so eine schwierige Arbeit werden sich keine kompetenten, ausgebildeten Pflegeeltern mehr finden lassen. Sie haben diese Rechnung ohne den Wirt gemacht!

(Meta)

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Guten Abend Herr Dr. Sarrazin,

Ich betreute ca. 13 Jahre ein heilpädagogisches Pflegekind. Bis vor etwa 1½ Jahren, als das Jugendamt, um Geld zu sparen den Pflegevertrag kündigte. Das Mädchen sollte sich innerhalb von zwei Wochen eine Wohnung suchen und selbständig sein, mitten in der Berufsausbildung!!!

Es ist in der Öffentlichkeit nicht so bekannt: Heilpädagogische Pflegestellen sollen abschafft werden, eine Pflegeform, die sich bewährt hat, die allerorten als Vorbild präsentiert wurde. Trotzdem sinken die Unterbringungen in Pflegefamilien gegenüber den Heimen. Heilpädagogischen Pflegestellen wird das Erziehungsgeld um 50-78% gekürzt. Die Jugendämter verlangten von den Pflegefamilien, möglichst keiner anderen beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Danach haben wir uns größtenteils gerichtet oder haben verkürzt gearbeitet.

Pflegeeltern sind 24 Stunden am Tag im Einsatz. Auf die Arbeit einer heilpäd. Pflegestelle möchte ich nicht im Einzelnen eingehen, nur ein Beispiel: Meine Pflegetochter hat vom 7. Lebensjahr, als sie zu mir kam bis zum16. LJ eingenässt, mehrmals am Tag. Das ist nur ein Beispiel.

Und - ein Heimplatz kostest ca. 5000,00 Euro. Eine heilpäd. Pflegestelle , wo das Kind im Familienverbund lebt kostest insgesamt ca. 1500 Euro, incl. der Kosten für die leibliche Versorgung des Kindes, und das wird jetzt um ca. 700 Euro gekürzt.

Hier wird schamlos die moralische und menschliche Bereitschaft, seinen Privatbereich für diese Kinder zu öffnen, ausgenutzt ! Ich habe dem Kind 13 Jahre meines Lebens gegeben, meine Liebe, meine Kraft, Ängste, Zeit und ganz viel Nerven. Jede Beziehung ist an diesem Kind zerbrochen. Nein, ich habe sie nicht ins Heim zurückgegeben. Eine Erzieherin kann nach ihrem Dienst nach Hause gehen. Wir haben nicht mal Urlaub. Wir nehmen die Kinder mit in den Urlaub – und wir machen es gern. Aber unsere Arbeit wird nicht geachtet.

Ich kümmere mich trotz der Vertragskündigung noch immer um meine Pflegetochter, seit 1½ Jahren. Ich habe sie vorm sozialen Abstieg bewahrt, sie aus der Obdachlosigkeit zurückgeholt, ihr zweimal eine Wohnung besorgt und die Einrichtung mit ihr organisiert, sowie alle anfallenden Arbeiten. Sie wohnt jetzt in meiner Nähe. Ich sorge dafür, dass sie mit ihrem wenigen Geld klar kommt und ihre Lehre nicht schmeißt. Und was nicht ausblieb – bald wird sie für ihr eigenes Kind sorgen müssen. Kann ich sie da im Stich lassen?

Und Sie setzen zuerst drastisch an der Stelle an, wo die Schwächsten sind, wo wenig Lobby in der Öffentlichkeit ist. Seit über einem Jahr sperren Sie die, welche die Arbeit leisten aus, die Pflegeeltern. Wir haben Ihnen und den anderen Politikern geschrieben, gemailt, protestiert, Vorschläge gemacht und um Einbeziehung gebeten.

Aber ich kann Ihnen versprechen, Herr Sarrazin, wir werden nicht still halten, denn die Kinder können sich nicht wehren !!!

(Andrea Trautmann)

 

 

 

 

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