FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Veröffentlichungen / sozialppädagogische Fabeln

 

Kauz Knickfuß schafft den Winter ab


Als Kauz Knickfuß noch klein war, steckte er aus lauter Neugierde seinen Kopf soweit aus dem Nest, daß er hinausfiel und sich den Fuß brach. Alle Tiere des Waldes glaubten schon, sein junges Leben ginge zu Ende, bevor es richtig begonnen hatte. Nur er selbst war guten Mutes, humpelte auf einem Bein herum und ernährte sich von Würmern, Schnecken und Käfern. Der gebrochene Fuß war bald geheilt, allerdings ganz schief und krumm. Darum nannten ihn alle Kauz Knickfuß.

Als seine Federn lang genug waren, hüpfte er zu einer Tanne, in ihr von Ast zu Ast bis in die oberste Spitze, von dort auf eine Nachbartanne und wieder zurück und hin und her, bis er fliegen konnte.

Es war höchste Zeit, denn nun kam der Winter mit Schnee und Eis. Er saß mit den anderen Käuzen auf einem kahlen Ast und fror jämmerlich. Als nach drei Wochen der Winter immer noch nicht zu Ende war, erklärte er feierlich: „Ich habe es satt, ich werde den Winter abschaffen!“

Die anderen Käuze schauten sich verdutzt an, dann lachten sie, daß es weit durch den winterlichen Wald hallte: „Du bist vielleicht ein komischer Kauz! Weißt Du nicht, daß zu jedem Jahr ein Winter gehört und daß es schon immer so gewesen ist, solange es Käuze und Wälder gibt?!“

„Und die Menschen?“ entgegnete Kauz Knickfuß trotzig, „haben die etwa auch Winter?“ „Das wissen wir nicht, die Menschen machen alles anders!“ „Na, seht Ihr, die sind nicht so dumm wie Ihr. Ich werde zu den Menschen fliegen, damit ich so klug werde wie sie!“

Die anderen Käuze lachten noch lauter und konnten gar nicht mehr aufhören. Kauz Knickfuß aber schwang sich wütend in die Luft, verließ den Wald samt Gelächter und flog zu den Menschen.

Zuerst entdeckte er hoch in den Wäldern der Berge an einem Bach ein kleines Dorf aus Zelten. Die Menschen tanzten um ein Feuer herum und machten einen Höllenlärm. Er ließ sich auf eine Zeltspitze nieder und rief: „Hallo, Menschen, ich bin Kauz Knickfuß und möchte bei Euch klug werden!“ Aber sie tanzten weiter, machten weiter Lärm und verdrehten ihre Augen. Nach einigen weiteren, ebenso vergeblichen Begrüßungsversuchen gab er auf und schlief auf der Zeltspitze ein.

Am nächsten Morgen weckte ihn eine dicke alte Frau: „Was bist Du denn für ein sonderbarer Vogel? Frierst Du nicht da oben?“ „Und wie ich friere! Ich bin gekommen zu lernen, wie man den Winter abschafft, aber davon versteht ihr offenbar auch nicht viel.“ „Oh, davon verstehen wir eine ganze Menge. Hast Du nicht gesehen, wie wir ihn gestern Abend ausgetrieben haben? Niemand hat gefroren!“ „Doch - ich!“

„Du hast ja auch nicht mitgemacht. Hättest Du mitgemacht, dann hättest Du schöne Träume gehabt, wärst glücklich gewesen mit uns, mit unseren Geistern und Göttern und mit unseren verstorbenen Müttern. Nur mit Ihnen zusammen kannst Du den Winter austreiben und mit einem irdischen Feuer das himmlische Feuer der Sonne hervorlocken.“

„Aber schau dich doch mal um“, schrie Kauz Knickfuß verzweifelt, „der Winter ist immer noch da!“ „Du mußt Geduld haben, wir werden es irgendwann schaffen, bisher haben wir es immer geschafft.“ „Der Winter ist also trotz Eurer Tänze immer wieder gekommen?“ „Jedes Jahr - das muß so sein. So war es schon immer seit es Menschen und Wälder gibt.“ „Das haben die alten Käuze in unserem Wald mir auch schon erzählt. Viel klüger scheint Ihr also auch nicht zu sein. Aber die Sache mit den Tänzen und Träumen und mit dem Feuer will ich mir merken“, hob ab und flog hinunter ins Tal.

Dort lag ein großes Dorf mit festen Häusern. Er flog zum größten, klopfte ans Fenster und wurde hereingebeten. „Nanu, was willst Du bei uns im Dorf, gehörst doch nach draußen in den Wald?“ „Ich möchte bei Euch klug werden, aber den Winter habt Ihr wohl auch noch nicht abgeschafft?“ „Setz Dich zu uns an den Ofen, Dir wird schon warm werden!“ „Ich habe gar keinen Wald gesehen. Wovon lebt Ihr?“

„Von Ackerbau und Viehzucht.“ „Wie lernt man das?“ „Ich hab´s von meinem Vater.“ „Und der?“ „Der hat´s von seinem Vater.“ „Probierst Du gar nichts Neues aus?“ „Selten. Wenn ich im Frühjahr einen Fehler mache, rächt es sich im Herbst. Wenn die Ernte aber gut ist, wüßte ich nicht, ob es an der neuen Idee oder am Wetter gelegen hat.“ „Wenn nun die Menschen aus den Bergen kommen und auch Ackerbau und Viehzucht treiben wollen?“

„Dafür haben wir einen König. Der hat Soldaten und Polizisten, Priester und Beamte. Von den Priestern wissen wir, was unser Gottvater, von den Beamten, was unser König will - das ist so ziemlich dasselbe.“ „Treiben die auch Ackerbau und Viehzucht?“ „Natürlich nicht, die müssen wir ernähren.“

„Heißt das, daß Euch die Priester und Beamten, die Soldaten und Polizisten sagen, was Ihr zu glauben und zu tun habt, und daß Ihr sie dafür auch noch ernähren müßt?“ „So ist es“, antwortete der Bauer, „aber Du siehst, wir haben einen schönen warmen Ofen.“ Kauz Knickfuß sah, was es für Vor- und Nachteile hat, wenn man gemeinsam glaubt und tut, was mächtige Leute für richtig halten, ließ sich bewirten und flog am nächsten Tag weiter.

Schließlich kam er in eine riesige Stadt mit vielen Häusern, Fabriken, Straßen und Autos. Aus den Häusern, Fabriken und Autos, sogar aus vielen Menschen kam dicker Qualm. Aber vom Winter war nicht viel zu sehen. Neben einer besonders breiten Straße saßen Menschen an kleinen Tischen und tranken ein braunes Getränk, das ebenfalls qualmte.

Dort ließ er sich nieder und fragte die trinkenden und qualmenden Menschen: „Ich sehe, Ihr habt den Winter abgeschafft. Wie habt Ihr das gemacht?“ „Ganz einfach, wir haben die ganze Stadt beheizt. Unter dem Straßenpflaster sind lauter Rohre mit heißem Wasser.“ „Woher habt Ihr soviel Wärme?“ „Wir verbrennen Holz, Kohle, Gas und Öl.“ „Gibt es denn soviel davon?“ „Nur noch ein paar Jahre, dann lassen sich unsere Wissenschaftler etwas Neues einfallen.“ „Sind das Eure Priester?“ „Ja, aber sie glauben nicht an Gott.“ „Warum nicht?“

„Die meisten von uns sind Handwerker und Kaufleute. Die Handwerker haben nichts von den alten Priestern, sondern alles aus eigener Erfahrung gelernt. Die Kaufleute erlebten in den fremden Ländern immer wieder andere Götter mit vielen verschiedenen Priestern und ganz unterschiedlichen alten Büchern. Gerechnet aber wurde in allen Ländern gleich.“ „Und woran glaubt Ihr nun?“

„Wenn man die Erfahrungen der Handwerker und das Rechnen der Kaufleute zusammenbringt, kommt das heraus, was wir Naturwissenschaften nennen - und daran glauben wir.“ „Warum sagen Euch die Naturwissenschaftler nicht, woher ihr neue Wärme bekommt und wie Ihr den Qualm loswerdet?“

„Oh, sie sagen es uns jeden Tag. Ihre Ideen sind alle sehr logisch, aber auch sehr verschieden.“ „Probiert sie doch aus!“ „Bist Du wahnsinnig? Wenn wir die falsche ausprobieren, geht die Welt unter!“

Kauz Knickfuß sah, daß man mit gründlicher Erfahrung und logischem Denken ganze Städte verheizen kann und flog tief beeindruckt in den heimatlichen Wald zurück. Die anderen Käuze fragten ihn:

„Na, hast Du gelernt, wie man den Winter abschafft?“ „Natürlich,“ frohlockte Kauz Knickfuß, „für richtig schauende und richtig denkende Käuze ist das überhaupt kein Problem, allerdings muß man damit rechnen, daß der Sommer gleich mitverschwindet!“

aus „Fabeln statt Pillen“ von Kurt Eberhard und Istrid Hohmeyer

 

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