FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2001

 

zu: "Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts"

von Michael Husen (Feb. 01)

 

Vorbemerkung: In dem Artikel “Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts” hatten wir auf die zunehmende Tendenz des Staates hingewiesen, sein Wächteramt selbst bei allergröbsten Vernachlässigungen nur unzureichend oder oft überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Darauf reagiert nun der Dipl. Pädagoge Michael Husen. Er ist seit 7 Jahren Erziehungsstellenleiter des SOzialpädagogischen FAmilienverbundes Braunschweig (s. Kontaktadressen), welcher ähnlich wie das IPP familiäre Beziehungen und den Aufbau von Bindungen, gepaart mit einem professionellen Selbstverständnis der Erziehungsstellenfamilien, als therapeutische Chance für die aufgenommenen Kinder betrachtet. Sollten Leserinnen und Leser Interesse an einer weiteren Diskussion haben, senden Sie uns bitte entsprechende Beiträge per E-Mail.
C.M. (März 01)


Dem Artikel kann ich in der Hauptargumentationslinie nur recht geben, gestützt durch eine inzwischen 7jährige Erfahrung mit 3 aufgenommen Kindern und durch mehrjährige gemeinsame Erfahrungen mit den Erziehungsstellen unseres Verbundes. Auch mir stellt sich die Frage, wie der Fokus aufs Kindeswohl gestärkt und der Kinderschutz verbessert werden kann.

Besonders die Hinweise auf neuro-physiologische Veränderungen durch die Forschungsergebnisse von Bruce Perry geben mir ebenso sehr zu denken. Diese Forschungsergebnisse liefern den theoretischen Hintergrund dazu, was ich beispielsweise bisher immer nur intuitiv und emotional bei einem der von uns aufgenommenem Kinder erspüren konnte, nämlich, daß es wie ein kleines, verwildertes und verängstigtes "Wiesel" wirkte, ständig alle Sinne in Alarmbereitschaft, ständig fluchtbereit, ängstlich und alles manchmal fast übersinnlich wirkend, aufs Wahrnehmen dessen ausgerichtet, was zum Überleben in der jeweiligen Situation nötig ist. Übersinnlich wirkend deshalb, weil das Kind geradezu magisch sofort die Schwächen eines jeden Gegenübers erkannte und provokativ nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" für sich nutzte, und weil es alle Empfindungen, Gefühle, Gerüche und Stimmungen, sowie Veränderungen z.B. in der Kleidung hochsensibel wahrnahm, ganz im Gegensatz zu seinen eher schlichten allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten. "Selbstverständlich" war und ist dieses Kind auch hyperaktiv.

Und wie tiefsitzend und fast resistent wirkend sind die problematischen Verhaltensweisen und wie mühsam und in kleinen Schritten sind die therapeutischen und pädagogischen Erfolge erkämpft.

In der Analyse, was für den mangelnden Schutz von Kindern in unserer Gesellschaft verantwortlich zu machen ist, stimme ich größtenteils zu.

Die Veränderung vom JWG zum KJHG hat hier eine entscheidende Wende gebracht - letztlich parallel zur allgemeingesellschaftlichen Entwicklung aus den 68ern heraus zu weniger autoritärem Staat und mehr Demokratie und individueller "mündiger" Freiheit - was ich allerdings grundsätzlich für positiv erachte.

Dennoch meine ich, daß der Staat auch im KJHG nach wie vor die Pflicht aber auch die Möglichkeit hat, sein "Wächteramt" wahrzunehmen (§§ 42,43 KJHG, §1666 BGB).

Schlimmer wirkt für mich die Verkettung von "Dienstleistungscharakter" des KJHG, - verkürzt verstandenen systemischen Denkansätzen, - und neuen Konzeptionen, die oftmals aus der Wirtschaft stammen und von “Kunden” statt “Klienten” sprechen, -gepaart mit Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsdiskussionen, die zwar frischen Wind in den “pädagogischen Mief” und in verkrustetes Verwaltungs- und Behördendenken bringen sollten, die aber letztlich auch in die Jugendämter, oft über den Einfluß der Kommunalpolitik den Primat des wirtschaftlichen Denkens einführte.

Skeptischer sehe ich die Kritik an der Privatisierung der Heime. Hier in Niedersachsen haben sich seit der Einführung der Rahmenvereinbarung explosionsartig gerade die Erziehungsstellen und kleine familienanaloge Einheiten gebildet, und haben eine Betriebserlaubnis beantragt. Hier sehe ich die private Initiative - zu der auch wir mit unserem Verbund gehören - als eine erfrischende und flexible Alternative zu starren Großeinrichtungen, was garantiert auch den aufgenommenen Kindern und ihren Bedürfnissen zugute kommen kann. Ich sehe aber auch deutlich die Grenzen der Belastbarkeit von Erziehungsstellen und deren organisatorische Schwächen, so daß ich sicher bin, daß sie keinesfalls ein Ersatz für Heime oder Heimgruppen sind. Konkurrenz entsteht erst dann, wenn aus rein wirtschaftlichen Erwägungen Erziehungsstellen vor Heimplätzen bevorzugt werden.

Den Überlegungen zu Konsequenzen aus dieser Analyse stimme ich zu. Erstmal gilt es überhaupt die Kinder zu finden, die eines Schutzes bedürfen. Eine Lobby für Kinder, z.B. durch ein “Kinderschutzgesetz” im Sinne von Westermann, das dem Kindeswohl den Vorrang einräumt, tut not.

Auch die Schulen in diese Beobachtung mit einzubeziehen halte ich für richtig - die Fakten der schulpolitischen Landschaft sprechen aber gerade eine ganze andere Sprache. Hier in unserer Umgebung ist es zwar so, daß ich viele engagierte Lehrer kenne, aber Hilfsmöglichkeiten und Betreuung für benachteiligte Kinder zu schaffen, die nicht in die herkömmlichen Schubladen passen, sind sehr begrenzt und oftmals zufällig.

Beim Aufbau weiterer Erziehungsstellen halte ich besonders auch eine angemessene Organisationsform der Arbeit für wichtig - siehe auch meinen Artikel zur Thematik der Freiberuflichkeit und Interessensvertretung, sowie der Entwicklung eines angemessenen Organisationssystems und angemessener Standards für diese Arbeit - siehe auch meine Homepage. Familien, die bereit sind eine entsprechende Arbeit zu leisten, benötigen nämlich selber auch einen Schutz, Unterstützung und sind besonders anfällig, wenn es nicht gelingt befriedigende Beziehungen (auch unter den Ehepaaren und leiblichen Geschwistern) herzustellen, oder wenn jemand durch Krankheit ausfällt.

Der im Alltag "kitzeligste" Punkt liegt für mich im Rahmen der Hilfeplanung und im besonderen im Bereich der Planung einer Aufenthaltsperspektive und einer angemessen Berücksichtigung der Herkunftseltern. Hier wird für mich sehr deutlich, daß es nicht immer um das Wohl des Kindes allein geht. Hier meine ich, daß nicht allein der rechtliche Rahmen, sondern insbesondere auch das Engagement und die Qualifikation des einzelnen Jugendamtsmitarbeiters maßgeblich das Wohl des Kindes beeinflußt. Neben einer grundsätzlichen Stärkung des Kindeswohls halte ich daher die Qualität der Verzahnung und Kooperation zwischen Jugendamt und Einrichtung und auch die Klarheit in den amtsinternen Strukturen und Kompetenzen für das Kindeswohl maßgeblich. Weder mit dem traditionellen Verwaltungsdenken, noch mit der traditionellen Rollenverteilung “Jugendamt ordnet an - Einrichtung führt aus” ist eine den Bedürfnissen angemessene Hilfe für das Kind selbst mit der “besten” Einrichtung nicht zu erreichen. Die heutige Qualitätsdebatte darf sich nicht allein auf die Einrichtungen beschränken, sondern muß die Jugendämter und die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen und Personen mit erfassen.

Michael Husen, Dipl. Päd. und Erziehungsstellenleiter in Braunschweig

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