FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2009

 

Das aktive Jugendamt im familiengerichtlichen Verfahren:

In verschiedenen Rollen gemeinsam zum Ziel …

 

Die Fachtagung „Das aktive Jugendamt im familiengerichtlichen Verfahren“ hat am 01./02. Oktober 2009 in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Heidelberg in Berlin stattgefunden und bewegte sich rund um das neue FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Zu dieser Tagung konnten wir 200 interessierte Vertreterinnen und Vertreter aus Jugendhilfe und Justiz im Ernst-Reuter-Haus begrüßen. Anliegen der Tagung war es, die „Philosophie“, die Möglichkeiten und Grenzen des neuen Rechts, das einen Rahmen für Konfliktlösungsmöglichkeiten im familiengerichtlichen Verfahren schaffen soll, vorzustellen. Dabei wurden insbesondere die Schnittstellen zur Kinder- und Jugendhilfe, die aktivere Rolle des Jugendamtes und die damit verbundenen Handlungsschritte der verschiedenen Akteure bei „Trennung und Scheidung“, „Kindeswohlgefährdung“ und „Häuslicher Gewalt“ diskutiert. Bestandteil der Diskussion war neben vielen Fachreferaten auch ein Erfahrungsaustausch in drei Foren über das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (KiwoMaG), das bereits im Sommer 2008 in Kraft getreten ist. Alle diese Beiträge lassen sich detailliert in der Tagungsdokumentation nachlesen, die demnächst in der Schriftenreihe „Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe“ erscheint und online bestellbar ist unter (www.fachtagungen-jugendhilfe.de). Zum ersten Nachlesen hier noch einige kleine Schlaglichter aus der Tagung:

Wenn es um das Kindeswohl geht …
„Jede Beratung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen ‚Wollen + Sollen’“, mit diesen Worten eröffnete der Wiener Psychoanalytiker und Erziehungsberater Dr. Helmuth Figdor seinen Fachbeitrag, der den Blick zunächst auf die kindliche Perspektive richtete. Er sprach darüber, was Familien in der Krise, insbesondere in Trennungs- und Scheidungssituationen, brauchen und wie er als Berater dabei hilfreich sein kann, Lösungen zu finden, die gleichzeitig auch die Entwicklungsinteressen des Kindes sichern. Im Anschluss daran stellte Ministerialrat Dr. Christian Meyer-Seitz, Leiter des Referates Zivilprozess im Bundesministerium der Justiz (BMJ) in Berlin, detailliert die neuen Regelungen des familiengerichtlichen Verfahrens nach dem FamFG vor. Seinen Vortrag leitete er mit den Worten ein, dass wir uns eine aufwändige Tatsachenermittlung in jedem Zivilprozess leisten, in dem es um 600 Euro Streitwert geht, und wir uns nicht mit weniger zuverlässigen Mitteln zur Wahrheitsfindung begnügen sollten, wenn es um das Wohl eines Kindes geht. Es sei ein Paradoxon, das ein Rechtsstreit um 1.000 Euro wichtiger sei und mehr Aufwand kosten dürfe als ein Streit um das Kindeswohl. Daher stelle die Reform eine klare Stärkung der Kinderrechte dar. Er verwies in seinem umfangreichen Vortrag u.a. darauf, dass bei der Gesetzesformulierung viele Anteile aus dem so genannten Cochemer Modell eingeflossen sind und erstmals das Aufgabenprofil des Verfahrensbeistands gesetzlich geklärt worden ist.

In verschiedenen Rollen gemeinsam zum Ziel
Über neue Anforderungen an die Kooperation von Familiengericht und Jugendhilfe: Aufgabenklärung und Rollenverständnis referierten Winfried Flemming, Referent, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin, und Gregor Profitlich, Richter am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg in Berlin. Winfried Flemming sagte, das FamFG verlange von den Familiengerichten eine grundsätzliche Umstellung auf eine prozesshafte Arbeitsweise. Die Fachkräfte der Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienste der Jugendämter (ASD) würden nun im Familiengerichtsverfahren als Verhandlungspartner auf Augenhöhe angesprochen; dazu gehöre auch eine aktive Einmischung in Sach- und Verfahrensfragen für die Sache des Kindes. Gregor Profitlich machte deutlich, neu an den Verfahrensregeln sei eine frühe staatliche Intervention, die eine enge Kooperation von Jugendamt und Familiengericht im einzelnen Verfahren sowie fallübergreifend erfordere. Dies sei zunächst aber ein „Kulturschock für das Familiengericht“. Für die Aktivitäten des Jugendamtes bedeute das eine verstärkte Übernahme von Verantwortung, Verhandeln „auf Augenhöhe“ und eine gemeinsame Verlaufsplanung.

Jede Profession muss den Nutzen definieren, den ihr die Änderungen bringen.
In drei Foren wurden erste Erfahrungen zum Umgang mit dem Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (KiWoMaG) und offene Fragen dazu diskutiert. Die Themen der drei Foren bezogen sich auf:

  • die Erörterung der Kindeswohlgefährdung,
  • den frühen ersten Termin bei Trennung und Scheidung und
  • die Anforderungen an Jugendamt, Gericht und Polizei im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt.

Den zweiten Arbeitstag begann Dr. Thomas Meysen, Fachlicher Leiter des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, mit einer systemischem Einführung zum Tagungsthema und dieser wurde von Henriette Katzenstein, Leiterin des Bereichs Fachveranstaltungen und Kommunikation, DIJuF, moderiert.

Kapitän + Lotse = Jugendamt + Familiengericht
Dr. Thomas Meysen sagte, in der Gesetzesbegründung stehe mindestens 34mal das Wort „früh“/ „früher geschützt“/ „früher das Gericht angerufen werden“. Was aber heißt das für die Praxis und natürlich für die jeweilige Familie? Das Familiengericht solle bei Kindeswohlgefährdung zur Initiierung von Hilfen angerufen werden – das „Wie“ müsse aber noch fachlich ausgefüllt werden. Hier seien die Jugendämter gefordert. Erfolgschancen „angeordneter Hilfen“ seien gering und deshalb eine Mitgestaltungsmöglichkeit für die Eltern äußerst wichtig. Beratungsstellen müssten sich darüber klar werden, wie sie mit Gefährdungen von Kindern umgehen - eine Information an das Jugendamt oder bei Umgangsfragen an den Vormund? Auch hier bestehe noch Klärungsbedarf in der Praxis. Dies gelte auch für den frühen ersten Termin bei Trennung und Scheidung. Auch hier müssten die Anforderungen an ein Erstgespräch, das oft in einer emotional aufgeladenen, schwierigen Situation stattfinde, noch definiert werden. Vor allem, da nun von beiden Seiten ein kooperatives Vorgehen gefordert sei. Sei häusliche Gewalt mit im Spiel, müsse u.a. die Möglichkeit einer getrennten Anhörung beider Elternteile erörtert werden.

Was braucht die Umgangspflege, um erfolgreich zu arbeiten?
Birgit Büchner, Geschäftsführerin des Vereins und Leiterin der Koordinierungsstelle Verfahrenspflegschaften, Anwalt des Kindes e.V., München, wies darauf hin, dass Umgangspflegschaft unter drei Voraussetzungen sinnvoll und Erfolg versprechend ist:

  • wenn Kinder den Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil möchten,
  • wenn die Belastung durch den Umgang für die Kinder deutlich geringer ist als der Nutzen, den sie daraus ziehen können,
  • wenn alle professionell am Verfahren Beteiligten im Sinne einer Deeskalation des Elternkonflikts kooperieren.

Wichtig sei, dass es neben persönlichen Qualifikationen wie Belastbarkeit, Geduld und Überzeugungskraft eine Reihe fachlicher und struktureller Voraussetzungen gibt, die für eine erfolgreiche Arbeit der Umgangspflege unabdingbar sind. Hinsichtlich der Grundqualifikation gelte das Gleiche wie bezüglich der Verfahrensbeistände, deshalb sei auch eine qualifizierte Weiterbildung „Umgangspfleger“ notwendig. Daneben seien ihrer Erfahrung nach unterstützende Arbeitsstrukturen wie kollegiale Beratung und Supervision unverzichtbar, wodurch z.B. der hohen Gefahr einer Verstrickung in den Elternkonflikt begegnet werden könne. Aber auch die Bedeutung guter Kooperationsstrukturen zwischen den am Verfahren beteiligten Professionen dürfe nicht unterschätzt werden. Positiv hervorzuheben sei die Münchner Anwaltsinitiative, wo dieses Problem gesehen und ein Verhaltenskodex entwickelt wurde, in dem sich die angeschlossenen Familienrechtler zu einer konstruktiven Kooperation mit den beteiligten Professionen im Sinne des Kindeswohls bekennen.

Der Verfahrensbeistand – ein „Parteilicher Vertreter für das Kind“
Reinhard Prenzlow, Verfahrensbeistand und Stellvertretender Vorsitzender der BAG Verfahrensbeistand/Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e.V., Hannover, machte in seinem Statement deutlich, dass die anspruchsvolle und umfassende Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen eine einheitliche Qualifizierung der Verfahrensbeistände erfordert, die nur durch eine gesetzliche Fixierung erreicht werden könne. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die anderen beteiligten Professionen ihre Arbeit im Rahmen ihrer Berufstätigkeit durchführen und den Verfahrensbeiständen diese Anerkennung versagt bleibe. Dies beziehe sich ebenso auf eine angemessene Vergütung dieser Tätigkeit. Wichtig sei, dass es eine bundesweit einheitliche Praxis der Bestellung zum Verfahrenbeistand gibt und die Bestellung der Verfahrensbeistände an allen Gerichtsbezirken in Deutschland nach den gleichen Bedingungen und Regeln erfolgt. Neu sei, dass es erstmals eine Hauptaufgabenbeschreibung durch den Gesetzgeber im FAMFG gebe und der Verfahrensbeistand dadurch als „parteilicher Vertreter für das Kind“ und das konkrete Verfahren bestimmt wird. Dabei stehe nicht die Ermittlung des kindlichen Willens im Vordergrund, da der Verfahrensbeistand nicht der „Erfüllungsgehilfe“ des Gerichts sei. Sondern es gehe darum, über die Situation des Kindes Bericht zu erstatten und kindgerecht das Ergebnis der Anhörung zu übermitteln.

In der Vergangenheit große Distanz zum Gericht – das ist jetzt neu und anders
Matthias Weber, Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberater und Psychotherapeut aus Melsbach, sagte, dass er nun mit Blick auf das Kindeswohl nicht nur Konfliktreduktion und Umgangskontinuität berücksichtigen dürfe, sondern auch darauf achten müsse, ob es dem Kind wirklich gut geht bzw. was zu tun sei, wenn dies nicht der Fall ist. Wer kümmere sich um das Kind, wenn letztgenanntes eintrete? Wer habe die Chance, so etwas wahrzunehmen? Wie kann hier eine Lösung gefunden werden? Das sei für ihn noch eine offene Frage.

Zusammen aktiv?
Darüber, was sich in „meinem“ Arbeitsbereich mit den neuen Verfahrensregeln konkret ändern muss, diskutierten, moderiert von Dr. Thomas Meysen, Beate Schiffer, Leiterin des Fachbereichs Jugend und Soziales Heiligenhaus, Susanne Lehmann, Richterin am Amtsgericht Bückeburg und Matthias Weber, Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberater und Psychotherapeut aus Melsbach. Stellvertretend für die genannten Gesprächspartner möchte ich diesen Bericht daher gern mit einem Zitat von Susanne Lehmann beenden, die sagte:

„Man kann nur etwas ändern, wenn man wertschätzend miteinander umgeht. Das spricht auch die Kollegen an, die sich fragen, wie sie den scheinbar unwilligen Richter mit an den Tisch bekommen. Sagen Sie ihm einfach, dass Sie ihn brauchen! Manche kommen vielleicht trotzdem nicht, aber die Chance ist größer und es braucht nun einmal Zeit. Auch die Wiedervereinigung ist noch nicht in 20 Jahren abgeschlossen. Wir werden hoffentlich nicht so lange brauchen.“

Kerstin Landua
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
landua@difu.de

 

 

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