FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2002

 

Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern -
ein Kommentar zu Irmela Wiemann

von Gudrun und Kurt Eberhard (Juli 02)

 


Irmela Wiemanns Äußerungen zum Erscheinungsbild, zu den Ursachen und zur Behandlung kindlicher Erlebnis- und Verhaltensstörungen lassen sich keiner bestimmten Forschungstradition zuordnen. Sie schöpft u.a. aus psychoanalytischen, bindungstheoretischen, lernpsychologischen Quellen und aus eigener langjähriger Berufserfahrung. Das hat den Vorteil der undogmatischen Eigenständigkeit, aber den Nachteil, daß sich ihre Aussagen, wissenschaftstheoretisch betrachtet, im Status ungeprüfter Hypothesen befinden, während sie bereits im Ratgeberstil präsentiert werden. Sie bedürfen wie alle aus persönlicher Erfahrung stammenden hermeneutischen Deutungen der empirischen Überprüfung oder mindestens der Diskussion im Kreise ebenfalls erfahrener Kolleginnen und Kollegen. Einen ersten Beitrag zu einer solchen Diskussion können wir einbringen, weil wir ebenfalls seit mehreren Jahrzehnten mit seelisch verletzten Kindern arbeiten und kontinuierliche Begleitforschung geleistet haben.

Aus unseren Erfahrungen können wir vielen Aussagen Wiemanns zustimmen. Besonders die Beschreibungen des Erscheinungsbildes passen bestens zu unseren Beobachtungen. Bei der Behandlung der Ursachen fehlt leider gänzlich die u.E. sehr bedeutsame neurobiologische Traumaforschung (vgl. unser Sachgebiet 'Traumaforschung und Traumatherapie').

Das hat Folgen für die Behandlung der aktionalen Fragestellung. Wer aus den Ergebnissen der neurobiologischen Traumaforschung gelernt hat, daß chronisch traumatisierte Kinder hirnorganisch geschädigte Kinder sind, wird mit Kontakten zur Herkunftsfamilie, doppelter Elternschaft und den dadurch drohenden Retraumatisierungen sehr vorsichtig umgehen.

Daß viele Pflegekinder - vielleicht sogar die meisten - sich besser entwickeln, wenn sie die Chance haben, ungestört eine exklusive Liebesbindung zu den Pflegeeltern aufzubauen, ist unabhängig von jenen Forschungsresultaten altes Erfahrungswissen im Pflegekinderwesen (vgl. auch Hertener Studie). Um es in einem Bild auszudrücken: wenn eine junge wurzelkranke Pflanze aus einem schädlichen Mutterboden in einen gesunden umgepflanzt wird, können temporäre Rückverpflanzungen den heilenden Verwurzelungsprozeß sehr gefährden. Eine Rückverpflanzung sollte - wenn überhaupt - nur stattfinden, wenn das Wurzelwerk genesen ist und wenn in der Zwischenzeit der ursprüngliche Mutterboden ebenfalls saniert werden konnte. Beides kann viele Jahre dauern und gelingt oft nur partiell.

Die von Wiemann betonte Notwendigkeit, der behutsamen und gründlichen Aufarbeitung der traumatischen Vorgeschichte sowie deren positive Integration in die Identitätsentwicklung bleibt unbestritten (vgl. Sachgebiet 'Biografiearbeit' ). Aber so wie man einem vom Stiefvater vergewaltigten Mädchen keine regelmäßigen Kontakte zu jenem zwecks Traumaverarbeitung und Identitätsentwicklung zumutet, sollte man auch Pflegekindern die äußere Abgrenzung von vernachlässigenden, mißhandelnden und mißbrauchenden Eltern ermöglichen.

Die These, daß der regelmäßige Umgang mit Geschwistern das Selbstwertgefühl des Kindes stärke, ist aus unserer Sicht zu einseitig und apodiktisch formuliert. Mit der gemeinsamen Vermittlung von Geschwisterkindern haben wir ebenfalls mehr schlechte als gute Erfahrungen gemacht.

Aber die Forderung der Autorin, daß die Pflegeeltern traumatisierter Kinder besonderer sozialpädagogischer und therapeutischer Kompetenzen bedürfen und ihren Schlußappell, daß man ihnen Solidarität und professionelle Unterstützung bieten müsse, überhaupt ihr intensives Engagement für Adoptiv- und Pflegekinder können wir als gemeinsames Anliegen von Herzen unterstützen!
 

Um weitere Diskussionsbeiträge wird gebeten!
s. Diskussion: Irmela Wiemann -
Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern
s.a.
Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern - eine überarbeitete Fassung

 

 

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