FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2009

 

Kinder in Pflegefamilien

Ein Bericht über das Projekt »Pflegekinderhilfe in Deutschland«
und die Abschlusstagung
des DJI (Deutsches Jugendinstitut)
und DIJuF (Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht)

von Christoph Malter, Susanne Schumann-Kessner und Uschi Willms

 

Am 10. und 11. Dezember 2008 fand in Bonn unter Leitung des DJI und DIJuF die Abschlusstagung des Projektes »Pflegekinderhilfe in Deutschland« unter dem Motto »Kinder in Pflegefamilien: Chancen, Risiken, Nebenwirkungen« statt. Durch die Tagung führten Dr. Heinz Kindler (DJI) und Dr. Thomas Meysen (DIJuF). Für das erste Halbjahr 2009 ist die Herausgabe eines neuen Handbuches »Kinder in Pflegefamilien« angekündigt.

Das mit dem Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) vereinbarte Ziel des Forschungsprojektes war, über den Zeitraum vom 1.8.2005 bis zum 31.12.2008 Erkenntnisse zu gewinnen, unter anderem „.....darüber, wie in der Praxis der Pflegekinderhilfe das Wohl der Kinder in vielfältiger Art gefördert werden kann. Die Bindungen und Beziehungen an die Herkunftsfamilie als auch die Pflegefamilie wurden aus der Perspektive des Kindes untersucht. Die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven der Beteiligten und professionellen HelferInnen wurden differenziert herausgearbeitet und sollen dargestellt werden. Daraus werden Schlussfolgerungen für das Handeln aller im Hilfesystem Beteiligten gezogen, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Beteiligten, der unterschiedlichen Rahmenbedingungen und der Anforderungen an eine qualifizierte fachliche Arbeit. Die Ergebnisse des Gesamtprojektes werden für die Praxis ausgewertet und aufbereitet.“ (s. http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=439)

Als Ausgangssituation für die Pflegekinderhilfe in Deutschland wurde angenommen:
„....Die Notwendigkeit einer Qualifizierung und Weiterentwicklung hat vor allen Dingen aus zwei Gründen besondere Aktualität und Brisanz:

  • Die deutsche Praxis der Pflegekinderhilfe war in jüngster Zeit mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen und hat dort zum Teil scharfe Kritik erfahren.
  • Die Kommunen fördern die Vollzeitpflege als ebenso fachliche wie wirtschaftliche Alternative zur Heimunterbringung.

..... Die Praxis ringt um eine am Kindeswohl orientierte Ausgestaltung der Hilfen in Vollzeitpflegeverhältnissen. Dieser ausgesprochen dynamische Prozess ist gekennzeichnet von Verunsicherung und konfliktträchtigen Auseinandersetzungen..... Noch fehlt es in Deutschland aber weitgehend an wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlich fundierten Handlungsleitlinien, die über den Meinungsstreit hinausführen.
     Die letzte größere Welle an Praxisforschung zur Pflegekinderhilfe in Deutschland datiert aus einer Zeit von vor 20 Jahren. Zwar gilt die damalige Dokumentation der Forschungsergebnisse im DJI-Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich von 1987 bis heute als das Standardwerk für diesen Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe.....
   Die rechtliche Ausgangslage hat sich durch veränderte gesetzliche Bestimmungen und die weiterentwickelte Rechtsprechung verändert. Eine Analyse und Auswertung der Entwicklungen des internationalen Forschungsstands zu Pflegekindern, d.h. Aufarbeitung der neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Ausland sowie der Erfahrungen aus der gewandelten Praxis der Pflegekinderdienste in Deutschland steht ebenfalls aus.
     Der aktuelle Bedarf nach Forschung zur Pflegekinderhilfe .... wird dringend benötigt für die Arbeit der Fachkräfte in den Jugendämtern und in den Pflegekinderdiensten, bei Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie der Professionellen und Ehrenamtlichen in den Pflegeelternverbänden, für die Entscheidungsfindung der Familienrichter/innen, sowie für die Wissenschaft und Lehre an den Hochschulen, Fachhochschulen und Fachschulen.“
(s.
http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=439&Jump1=LINKS&Jump2=3)

Soweit die selbst formulierten Vorgaben, Aufgaben und Ziele aus dem Projekt.

Folgende Arbeiten sind gegenwärtig abgeschlossen:

  • In einer bundesweiten standardisierten Erhebung wurden Fachkräfte der Pflegekinderdienste zu Strukturen und Problemen der Praxis befragt.
  • Zusätzlich wurden neun Gruppendiskussionen mit MitarbeiterInnen der Pflegekinderdienste zu den Problemen der praktischen Arbeit geführt.
  • Eine Vollerhebung aller Pflegeverhältnisse in vier Gebietskörperschafen lieferte Daten von 632 Pflegekindern, u.a. zu Gründen der aktuellen Fremdplatzierung, Hilfeplanungen, Maßnahmen in der Herkunftsfamilie, Bindungen und Belastungen des Pflegekindes.
  • Mit Hilfe eines international erprobten Fragebogens wurden Problembelastungen von Pflegekindern aus Sicht der Pflegeeltern ermittelt.
  • In einer rechtsvergleichenden Untersuchung wurden die rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen der Pflegekinderhilfe in England, Schweden, Slowenien, Spanien und den Niederlanden untersucht.

Auch eine Fülle von Publikationen steht bereits zur Verfügung, u.a. ist zu nennen:

  • Abschlussbericht der Explorationsphase
  • Länderberichte (Niederlande, Schweden, England, Slowenien, Spanien)
  • Rechtsberichte
    - Pflegekinder in Kontakt - eine Analyse der Rechtsprechung bei Umgangskonflikten bei Pflegekindern
    - Rückkehr oder Verbleib - eine Analyse der Rechtsprechung zu Herausgabekonflikten bei Pflegekindern

Des Weiteren wird auf ausgewählte Expertisen zu einzelnen Themen hingewiesen. Genannt werden u.a.:

Ina Bovenschen & Gottfried Spangler: Effekte von Interventionen in Pflegefamilien: Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche;

Monika Krumbholz: Keine Zeit für Öffentlichkeitsarbeit?

Daniela Reimer & Klaus Wolf: Partizipation der Kinder als Qualitätskriterium der Pflegekinderhilfe;

Gottfried Spangler & Ina Bovenschen: Effekte von psychosozialen Interventionen zur Vorbereitung von Pflegeeltern auf ihre Aufgabe: Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche;

Irmela Wiemann: Auch Eltern ohne Kinder bleiben Eltern - Beratungsprozesse mit Herkunftseltern;

Hanno Winkelmann: Aufsuchende kurzzeitige Therapie in Familien mit zeitlich befristeter Vollzeitpflege (AkTiF mit ZbV); Beratungsprozesse mit Herkunftseltern;

(s. http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=439&Jump1=LINKS&Jump2=6)

Auf folgende weiterführende Literatur aus dem Kooperationsprojekt wird ebenfalls gesondert verwiesen:

Sandmeir, Gunda: Pflegekinder kommen zu Wort. In: Bulletin DJI, 2008, Heft 82

Kindler, Heinz; Thrum, Kathrin: Praxisnutzen von Forschung in der Pflegekinderhilfe: Umgang, Kindeswohl und die Integration von Pflegekindern in die Pflege- bzw. Herkunftsfamilie. In: Jugendhilfe, Jahrg.: 45, 2007, Heft 1, S. 11-20

Kindler, Heinz: Partnergewalt und Beeinträchtigungen kindlicher Entwicklung: Ein Forschungsüberblick. In: Kavemann, Barbara; Kreyssig, Ulrike (Hrsg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. 2006

Kindler, Heinz; Lillig, Susanna; Küfner, Marion: Rückführung von Pflegekindern nach Misshandlung bzw. Vernachlässigung in der Vorgeschichte: Forschungsübersicht zu Entscheidungskriterien. In: Das Jugendamt. Zeitschrift für Jugendhilfe und Familienrecht, Jahrg.: 79, 2006, S. 9-17

Schon bei oberflächlicher Sichtung des in großem Umfang der Öffentlichkeit präsentierten Materials fällt auf, dass das Projekt inhaltlich sehr weit gefasst und ein interdisziplinärer Zugang gewählt wurde, so dass eine ausführliche Wiedergabe oder Diskussion der Ergebnisse hier kaum möglich scheint. Wir werden uns bei den weiteren Ausführungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die knappe Darstellung einiger Kernaussagen aus den Tagungsreferaten konzentrieren und die für unsere Praxis wesentlichen Thesen und Hypothesen, sowie offen gelassene Fragen und vorhandene Widersprüche zeigen und Diskussionen dazu anregen.

Zur Tagung:

Nach der Begrüßung durch Heinz Kindler führte Gila Schindler als Vertreterin für das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) aus, dass im Pflegekinderwesen ein großer Bedarf an wissenschaftlich orientierter Handlungsanleitung für die Praxis bestünde. Zunehmend würde Fremdunterbringung wegen Gewalt stattfinden und das Ziel müsse sein, Konzepte zu entwickeln, mit denen die fehlende Qualifikation der Pflegeeltern kompensiert werden könne!

Heinz Kindler referierte zur Situation von Pflegekindern erste empirische Ergebnisse. Er betonte, dass neue Daten erhoben wurden und ein Ausstieg aus ideologischen Konflikten – mit Hinweis auf das DJI Handbuch von 1987 – ermöglicht werden solle. Als erstes Ergebnis wurde dargestellt, dass trotz ausreichend vorhandener ambulanter Hilfen ein kontinuierlich leicht steigender Trend bei Maßnahmen der Fremdplatzierung zu verzeichnen sei, insgesamt aber etwa nur 0,3% aller Kinder davon betroffen seien. Bei sozial-emotionalen Problemlagen sei die beste Prognose für das Kind durch Unterbringung in der Pflegefamilie gegeben, wobei dieser möglichst therapeutische Schulung und Hilfe zu Gute kommen solle. Grundsätzlich seien Pflegekinder nicht unerheblichen Belastungen ausgesetzt, bspw. seien die Bildungschancen erheblich gemindert (erhöhte Sonderschulquote), sie seien weniger sozial eingebettet und es bestünden Teilhaberisiken. Nach längerem Aufenthalt in der Pflegefamilie nähmen die Belastungen ab, die Entwicklung normalisiere sich jedoch nicht völlig (aus dem CBCL-Test). Oft würde die Diagnose ‚Posttraumatische Belastungsstörung’ (PTBS, bzw. PTSD) bei misshandelten Kindern nicht überprüft oder könne wegen unklarer Anamnese (Vorgeschichte) nicht erstellt werden. Es gäbe eine hohe Anzahl von Kindern, bei denen Kindeswohlgefährdung vor der Inpflegegabe vorlag und etwa 40% der Kinder hatten bereits zwei und mehr Trennungserfahrungen hinter sich, die unter entwicklungspsychologischen und bindungstheoretischen Aspekten als kritisch eingestuft werden müssen. Für die Praxis regte Kindler an, dass Pflegeabbrüche vermieden werden sollen und diskutierte Faktoren, ob bspw. die kooperative Beziehung zwischen Pflegeeltern und Herkunftsfamilie eher ent- oder belastend sei. Umgesetzte Rückführungen kamen in der eigenen Studie (DJI, DIJuF; n=624) in ca. 3%-5% der Fälle vor, wobei es sich hier nicht nur um geplante Rückführungen handelte und die Zahlen recht verwirrend referiert wurden. Der relative Häufigkeitsverteilung zu „beendeten Pflegschaften“ konnte nicht abschließend referiert werden, insgesamt wurde aber eine Rückführungs- bzw. (unplanmäßige) Beendigungsrate von ca. 20%-30% vermutet (wie auch andere Studien nahe legen), und wenn die erfassten Verläufe weiter verfolgt würden. Die weitere Diskussion darüber, wie bessere rechtlich stabilisierende Rahmenbedingungen geschaffen werden können, führte zu Überlegungen der Einführung eines § 1632a im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) mit dem Ziel, den Standard für die Rückführung von Pflegekindern zukünftig nicht nur unter Kindeswohlgefährdungskriterien zu prüfen, sondern unter Kindeswohldienlichkeitsaspekten (s. hierzu auch den Bericht aus der Arbeitsgruppe) und damit analog der im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) kodifizierten Zeit- und Zielperspektive des Pflegeverhältnisses eine einforderbare Rechtsverbindlichkeit im Familienrecht zu schaffen.    

In der anschließenden Arbeitsgruppe mit Kathrin Thrum wurden die Ergebnisse aus der Befragung der Sozialarbeiter zu Umgängen und Umgangskontakten diskutiert. Überraschend wurde vorgetragen, dass es für Umgangskontakte und -intensität aus den Erhebungen und Studien heraus keine messbaren positiven Effekte für das Kindeswohl gäbe, angeblich jedoch auch keine negativen, wobei kritisch angemerkt wurde, dass die Steuerung der Kontakte in der Praxis häufig schlecht gelöst sei. 83% der Pflegekinder hatten Kontakte zur Herkunftsfamilie, wobei nach Einschätzung der Fachkräfte ca. 50% unbelastet waren, aber auch 50% als belastend wahrgenommen wurden. Die häufigste Form sei monatlicher Umgang. Umgangskontakte sind aus juristischer Perspektive regelmäßig geboten und Beschränkungen oder ein Ausschluss ist nur in Ausnahmefällen möglich und muss dann entsprechend fachlich begründet werden. Experten aus dem Fachbereich der neurophysiologischen Traumaforschung wurden bedauerlicherweise an den Vorträgen nicht beteiligt oder erschöpfend zu Rate gezogen. Auffällig war, dass aus sozialpädagogischer und psychologischer Sicht die Favorisierung von Umgang recht allgemein und unkritisch als kindeswohldienlich anerkannt wurde, wenngleich dies bei vernachlässigten, misshandelten oder missbrauchten Kindern von vielen anerkannten Experten aus Medizin und Humanwissenschaften bezweifelt wird. Gerade Therapeuten, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, weisen auf erhebliche Risiken für die Kindesentwicklung bei Täterkontakten hin. Nach wie vor ist das Thema ‚Umgang’ bei misshandelten Kindern sowie die Notwendigkeit des Kontaktes zu den Tätern strittig, ohne dass neue Sachargumente vorgetragen werden konnten. Diese spezielle Diskussion, die für viele Pflegekinder erhebliche Relevanz im Alltag hat, wurde bedauerlicherweise nicht vor dem Hintergrund des vorhandenen Expertenwissens geführt (s. z.B. 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens).

Nach den Workshops wurden drei Beispiele aus der Praxis vorgestellt. Aus Bremen wurde mitgeteilt, dass der Verein ‚PiB’ alle Aufgaben des Pflegekinderdienstes übernommen hat und obligatorische Kurse für Pflegeeltern und -bewerber im Rahmen einer Pflegeelternschule anbietet. Vom Verein ‚Pfiff’ aus Hamburg wurde berichtet, dass er mit mittlerweile 21 Fachkräften „Konzepte am Bedarf der Praxis“ entwickle und ebenfalls Pflegeelternschulung anbiete. Der Verein ‚Pro Kind’ aus Schwerin hat mit fünf Hauptamtlichen Aufgaben der Qualifikation von Pflege- und Erziehungsstelleneltern übernommen.

Am zweiten Tag eröffnete Hermann-Scheuerer-Englisch mit einem Einführungsreferat über die Bedeutung des Bindungskonzeptes für die Pflegekinderhilfe. Sein sehr fundierter und überzeugender Vortrag wäre einen eigenen Bericht wert und kann hier nicht vollständig wiedergegeben werden. Scheuerer-Englisch ist als Erziehungsberater in Regensburg tätig und plädiert dafür, dass die Bindungstheorie die Leittheorie im Pflegekinderwesen sein sollte. Pflegekinder bewegen sich regelmäßig während der gesamten Kindheitsphase außerhalb der Norm und sind dann in Folge ständig damit beschäftigt, Entwicklungsdefizite zu kompensieren. Vor dem Hintergrund ihrer meist belasteten Biografie machen sie aber in der Pflegefamilie meist ernorme Entwicklungsfortschritte, für die wiederum die Beziehungen wesentlich sind. Einerseits erleichtert (gefühlte) Sicherheit (in der Pflegefamilie) individuelle Lernvorgänge. Die Bindung zu den Pflegeeltern müsse aber auch ermöglichen, dass die Autonomieentwicklung des Kindes stattfinden kann. Neben den bestehenden sind Pflegeeltern neue Bindungspersonen, und Scheuerer-Englisch vertritt die Auffassung, dass es dem Kind umso besser geht, je weniger Konflikte es gäbe. Wichtig sei, dass die Bindungsrepräsentation der Pflegeeltern möglichst sicher sei und der Zeitraum für die Perspektivklärung sei begrenzt.

In der anschließenden Arbeitsgruppe zum Permanency Planning, also dem aus bindungstheoretischen Erwägungen etablierten Konzept der Zeit- und Zielperspektive zur Sicherung der Bindungskontinuität für ein Kind, ermöglichte Heinz Kindler eine Diskussions- und Fragerunde an den Vorredner. Es wurde dargestellt, dass das Prinzip der „Zeitvorschriften“, also dass bestimmte Entscheidungen, bspw. über Adoption, Rückkehr oder Verbleib eines aus der Familie genommenen Kindes, in den USA und vielen anderen Ländern längst gesetzlich geregelt ist. Solche Regelungen seien beispielsweise dann nötig und im Interesse des Kindes, wenn erziehungsunfähige Eltern erst zu spät oder überhaupt nicht die Erlaubnis für eine dauerhafte Unterbringung erteilen, damit das Kind nicht ständig in der „Schwebe“ darüber bleiben muss, wo sein dauerhafter Lebensmittelpunkt sein soll. Ausnahmslos alle Teilnehmer aus der Praxis plädierten für eine solche Änderung im Bürgerlichen Gesetzbuch (bspw. durch einführen eines § 1632a), damit zukünftig Kindeswohl besser berücksichtigt wird. Lediglich eine Vertreterin aus dem Ministerium meldete Bedenken an, dass u.U. mögliche Rückführungen von Pflegekindern nicht mehr stattfinden, wenn Kindeswohldienlichkeitsaspekte als Maßstab für die Entscheidungsfindung genommen würden und sorgte sich darüber, ob dann nicht vielleicht sogar die pädagogische Arbeit mit den Eltern abgebrochen würde.

Das Anschlussreferat hielt Thomas Meysen für die aus dem Projekt ausgeschiedene Marion Küfner und stellte die Ergebnisse aus den Rechtsberichten Kontakt/ Rückkehr und Verbleib dar. Die Berichte können über die Internetseite des DJI (http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=439&Jump1=LINKS&Jump2=6) bezogen werden.  Nach Meysen lasse sich aus den untersuchten Entscheidungen zu Umgang aus der Rechtsprechung keine Richtlinie erkennen und Marion Küfner bilanziert in ihrem Abschlussbericht zu Herausnahmekonflikten, dass nach der gesetzlichen Konzeption des § 1632 Abs. 4 nur vorübergehende Lösungen ermöglicht werden und eine dauerhafte Absicherung von Pflegeverhältnissen damit nicht möglich sei.

Im Anschluss gab es noch reichlich Raum für Diskussionen, teils im Podium, teils an den Tischen im „World Cafe“, bspw. darüber, ob die Elternrechte juristisch überbetont seien oder nicht, Pflegefamilien bessere und sicherere Rahmenbedingungen benötigen und welche Pflichten Jugendämter, Eltern und Pflegeeltern haben und einlösen müssen. Beklagt wurde auch, dass es Eltern gäbe, die bspw. ihrer Pflicht zum Umgang oder zur Kooperation nicht nachkämen.

Unsere Bilanz:

1. Die wichtigste aus diesem Projekt und der Tagung formulierte Forderung an den Gesetzgeber ist die Einführung eines § 1632a BGB zur Absicherung von Pflegeverhältnissen nach Kindeswohldienlichkeitsaspekten mit klaren Fristen für Entscheidungen über Verbleib und zur Kontinuitätssicherung. 

Eine nicht unerhebliche Gruppe von Kindern ist existenziell darauf angewiesen, zumindest so lange, wie es uneinsichtige Eltern gibt, die selbst mit den besten Beratungs- und Therapiekonzepten nicht in einer für die Kindesentwicklung angemessenen Zeit erreicht werden können.

2. Vieles von dem aus der Erhebung vorgetragenen deckt sich mit unserer Praxis, bspw. dass zunehmend mehr Kinder Gewalterfahrungen mit in die Pflegefamilie bringen, sich gut entwickeln, aber dennoch oft mit ihrer Vergangenheit und besonderen Problemen im Alltag zu kämpfen haben.

3. Auch den Ausführungen von Hermann Scheuerer-Englisch, dass der Bindungstheorie besondere Bedeutung im Pflegekinderwesen zu kommen sollte, schließen wir uns voll an, möchten aber ergänzen, dass ebenso bewährt und gleichberechtigt die psychoanalytische Ich-Psychologie und die neuropsychologische Traumatheorie als Konzepte des Verstehens und Handelns herangezogen werden sollten.

4. Dem Wunsch, aus ideologischen Konflikten auszusteigen, schließen wir uns ebenfalls an, hoffen aber gleichzeitig, dass die Dominanz der gerade populären Theorien über die Praxis aufgelöst wird, bspw. bei Fragen der Kindeswohldienlichkeit von Umgangskontakten oder der Rückführbarkeit von Pflegekindern. Anstatt dessen wünschen wir uns praktikable Konzepte für Pflegeeltern im Interesse des Kindes.

5. Kritisch muss angemerkt werden, dass immer wieder – auch in diesem Projekt – Behauptungen in den Raum gestellt werden, die schlicht weg nicht stimmen, zweifelhaft oder fragwürdig sind:

Beispiel 1
Behauptung: „Das DJI-Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich von 1987 gilt bis heute als das Standardwerk....“

Ein Standardwerk ist aber ein Buch, das die Gesamtheit des Wissens innerhalb eines Fachbereichs abdeckt und einen hohen Nutzwert bietet, was bei dem seit Veröffentlichung sehr umstrittenen Buch des DJI von 1987 eindeutig wegen fachlicher Unzulänglichkeiten nie gegeben war. Nachdem der Wissenschaftsrat die Arbeit des DJI 1986 kritisiert hatte (vgl. Nienstedt, Westermann, 2007, S. 20), verschwand das Buch, das nie über die erste subventionierte Auflage hinausgekommen ist, bald vom Markt und ist seit 20 Jahren nicht mehr im Buchhandel erhältlich.

Beispiel 2
Behauptung: „Ziel müsse sein, Konzepte zu entwickeln, mit denen die fehlende Qualifikation der Pflegeeltern kompensiert wird.“

Manchmal müssen Pflegeeltern qualifiziert werden, aber grundsätzlich müssen sie bei vorliegender Eignung als Familie so genommen werden, wie sie sind und sollten einen Anspruch auf qualifizierte Begleitung haben und hinreichend Unterstützung bekommen bei der Bewältigung des sowieso sehr anstrengenden Alltages mit Kindern. Dazu gehört selbstverständlich eine gute, ehrliche und umfassende Vorbereitung.

Beispiel 3
Behauptung: „Die deutsche Praxis der Pflegekinderhilfe war in jüngster Zeit mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen und hat dort zum Teil scharfe Kritik erfahren.“

Gerichtliche Entscheidungen ergehen in Einzelfällen und sind keine Kritik an der Pflegekinderhilfe im Allgemeinen. Es sei dahingestellt, ob die höchstrichterlichen Entscheidungen im Interesse des jeweiligen Kindes ergangen sind und kluge Leitsätze hervorbringen, sie sind aber bindend für die Praxis. Nicht mehr und nicht weniger.

Wir möchten konstruktive Diskussionen anregen, und wünschen dem in Planung befindlichen Handbuch, dass es sinnvolle Ergebnisse in die Praxis des Pflegekinderwesens bringt und damit letztendlich die Situation von benachteiligten Kindern verbessert. Schade ist, dass die Ressourcen innerhalb des Projektes nicht ausgeglichen verteilt wurden. So wird das Thema „Traumatisierung“ nur stiefmütterlich am Rande abgehandelt, während auf Themen wie „Beratungsprozesse mit Eltern“ oder „Aufsuchende kurzzeitige Therapie in Familien“ durchaus – bei aller nicht in Zweifel gestellter Sinnhaftigkeit solcher Arbeiten! – im Rahmen dieses Projektes eher hätte verzichtet werden können und zugunsten der benannten Lücken auch hätte verzichtet werden sollen. 

veröffentlicht in paten 1, 2009, s. www.pan-ev.de

s.a. Für die Ergänzungsfamilie nicht mal ein Grabgesang

 

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